Die aktuelle Lage im östlichen Mittelmeer ist mittlerweile ein Spiel mit dem Feuer, und jeder noch so kleine Zündfunke kann zu einer Katastrophe führen. Daran kann niemand ein Interesse haben.
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas äusserte sich vor dem Treffen der EU-Aussenminister in Berlin. Dabei soll auch über die Krise im östlichen Mittelmeer beraten werden. Günter Seufert forscht zum Thema Türkei. Um Erdgas gehe es in dem Streit nur am Rande, erläutert er.
SRF News: Ist die Situation im östlichen Mittelmeer wirklich so explosiv?
Günter Seufert: Ich würde nicht ganz so dramatische Worte wählen, aber ich würde auch nicht ausschliessen, dass es zu einem Scharmützel kommen könnte zwischen griechischen und türkischen Kriegsschiffen. Die Nato und auch die USA würden dann wohl sehr schnell intervenieren. Wir müssen davon ausgehen, dass es insbesondere in der türkischen Admiralität Leute gibt, die glauben, dass das der richtige Weg wäre, um die Ziele zu erreichen und um die Türkei noch weiter von der Nato zu entfernen.
Warum ist dieses Gebiet derart umstritten, dass Griechenland und die Türkei nun mit Kriegsschiffen auffahren?
Dafür gibt es viele Gründe. Es geht um Erdgas, aber nur zum Teil. Denn die Energiepreise sind gesunken: Wegen der Coronakrise, aufgrund des «European Green Deals» und wegen der Tatsache, dass die Nachfrage in den letzten Jahren zurückgegangen ist, während das Angebot gestiegen ist.
Es geht wohl auch darum, wie das Gebiet wirtschaftlich und geopolitisch aufgeteilt wird.
Wenn man einberechnet, dass die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer sehr tief liegen und ihre Förderung sehr teuer ist, kann man also nicht mehr sagen, dass Erdgas wirklich grosse Gewinne verspricht. Von daher geht es wohl auch darum, wie das Gebiet wirtschaftlich und geopolitisch aufgeteilt wird.
Kann man die Seegrenzen im Mittelmeer überhaupt ändern?
Sie sind nicht international festgelegt. Nach dem Seerechtsabkommen von 1982 müssen die jeweiligen Anrainerstaaten in gegenseitigem Einvernehmen die jeweiligen Grenzen ziehen. Das ist also ein Verhandlungsergebnis. Gleichzeitig gibt es Kriterien, die diese Verhandlungen anleiten.
Die EU hat nun die griechische Position übernommen.
Und über die streiten sich Griechenland und die Türkei. Die EU hat nun die griechische Position übernommen. Diese macht die Ägäis wirtschaftlich zum griechischen Meer und grenzt die Türkei weitgehend von der wirtschaftlichen Nutzung des Mittelmeers aus. Das ist natürlich keine faire Lösung. Und auch keine, die die Interessen aller Anrainerstaaten mit einbezieht.
Welche ist die Position der Türkei in dieser Frage?
Die Türkei hat eine absurde Lesart des Seerechtsabkommens. Sie sagt, dass keine der griechischen Inseln auch nur dazu beitragen könnte, die griechische, exklusive Wirtschaftszone zu bestimmen. Das heisst, die Türkei wirft all ihre kleinen Inseln direkt vor der Küste in einen Topf mit Kreta und sagt: Alles, was Griechenland an Inseln hat, darf überhaupt nicht berücksichtigt werden. Das sind also zwei vollkommen gegensätzliche Positionen, und die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.
Was ist vom EU-Aussenminister-Treffen zu erwarten?
Die juristische Frage ist sehr kompliziert, und die EU hat bisher keine differenzierte Stellungnahme dazu vorgelegt. Denn innerhalb der EU besteht keine Einigkeit darüber, wie man vorgehen soll. Zwei Staaten stehen im Vordergrund: Deutschland aufgrund der EU-Ratspräsidentschaft, das eher auf Dialog setzt, und Frankreich, das militärische Solidarität mit Griechenland zeigt. Es braucht wohl beides; die Bereitschaft zu Gesprächen, aber auch Entschlossenheit. Die Aussenminister Deutschlands und Frankreichs müssen also versuchen, eine gemeinsame Strategie gegenüber der Türkei zu finden.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl für den Podcast News Plus+.