Zwischen der türkischen Führung sowie Europa und den USA fliegen die Fetzen. Für Präsident Recep Tayyip Erdogan stehen der Türkei im Mittelmeer weit grössere Territorien zu, als ihr das internationale Seerecht zubilligt. Die Regelungen bevorzugten Griechenland enorm, führte der starke Mann in Ankara jüngst aus. Ganz unrecht hat er damit nicht.
Deshalb schliesst er ein Abkommen über eine – gemäss Völkerrecht – gar nicht existierende Seegrenze mit Libyen. Deshalb lässt er Forschungsschiffe nach Öl- und Gasvorkommen suchen in griechischen und zyprischen Gewässern. Nicht nur in Griechenland ist man empört, sondern ebenso in Frankreich. Präsident Emmanuel Macron will die türkischen Ambitionen im Mittelmeer mit Fregatten parieren.
In kürzester Zeit hat sich die Türkei im Mittelmeerraum, in Nordafrika und im Nahen Osten als Macht etabliert, um die man nicht herumkommt, als Land, das resolut seinen Einfluss ausweitet.
Auch auf dem Festland ist die Türkei immer stärker präsent: Syrien, Libyen, Nordirak, Qatar, Sudan, bald auch Djibouti. Bemerkenswert effizient findet das der französische Strategieexperte von der Denkfabrik Iris, Didier Billion: «Das türkische Eingreifen ist zumindest legal, stützt sie doch die von der UNO anerkannte libysche Regierung.» Die UNO-Vetomacht Frankreich und andere stützten hingegen den Rebellengeneral Khalifa Haftar. «In kürzester Zeit hat sich die Türkei im Mittelmeerraum, in Nordafrika und im Nahen Osten als Macht etabliert, als Land, das resolut seinen Einfluss ausweitet», sagt Didier Billon.
(Noch) keine Expansionsstrategie
Will die Türkei also unter Erdogan ausbrechen aus den Grenzen, die ihr nach dem Untergang des Osmanischen Reiches vor knapp hundert Jahren im Vertrag von Lausanne gezogen wurden? In einem, so Erdogan, «Vertrag der Schande». Nein, eine Expansionsstrategie sei vorläufig nicht geplant, sagt Hüseyin Bagci, Präsident des türkischen Instituts für Aussenpolitik und Professor an der Middle East Technical University: «Offiziell hat die Türkei keine strategischen Erweiterungspläne. Erst mal.»
Sie wäre allein dazu gar nicht imstande, sagt Bagci, der eine territoriale Expansion ablehnt. Das Fehlen von Partnern sei die grosse Schwäche von Erdogans Aussenpolitik: «Die Türkei ist zum Einzelgänger geworden.» Dass die Türkei hingegen selbstbewusster, manche würden sagen aggressiver auftrete, sei eine «natürliche Entwicklung». Sie sei nun mal in dieser Region das politisch stabilste und militärisch mächtigste Land.
Offiziell hat die Türkei keine strategischen Erweiterungspläne. Erstmal.
Professor Bagci führt Erdogans Muskelspiel darauf zurück, dass die Kritik an ihm wegen der Wirtschaftskrise wachse und das bisher erfolgreiche forsche Auftreten populär sei.
Die Nato ist gespalten
Erdogan dürfte also so bald nicht von seinem Kurs abrücken. So wird die Türkei zum Sorgenkind der Nato. Deren Generalsekretär Jens Stoltenberg sah sich sogar genötigt, das Nato-Mitglied Türkei wegen seines militärischen Vorgehens in Syrien, wo es ganze Landstriche besetzt, scharf zurechtzuweisen, was innerhalb des Bündnisses höchst unüblich ist.
Weil jedoch die Allianz intern gespalten ist wegen des Konflikts zwischen US-Präsident Donald Trump und den Europäern ist sie derzeit ausserstande, mässigend auf Ankara einzuwirken. Es ist nicht einmal sicher, ob die Nato imstande wäre, einen Waffengang zwischen ihren Mitgliedern Griechenland und Türkei abzuwenden.