Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz wurde diese Woche von seinem ehemaligen Vertrauten Thomas Schmid schwer belastet. Schmid sagte aus, Kurz habe ihm den Auftrag erteilt, Medien mit Steuergeld zu manipulieren. Kurz bestreitet diesen Vorwurf. Eva Linsinger, stellvertretende Chefredaktorin des österreichischen Politmagazins Profil, erläutert im Interview die Folgen der Korruptionsaffäre.
SRF News: Sind die Aussagen von Thomas Schmid glaubwürdig?
Eva Linsinger: Thomas Schmid hat insgesamt 15 Tage bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausgesagt. Er tut das auch, um den Kronzeugen-Status zu erlangen. Würde er jetzt lügen, wäre das für ihn ein sehr hohes Risiko. Dann bekäme er nämlich den Kronzeugen-Status nicht. Und dann würde er natürlich ganz weit verfolgt. Klar ist auch, alle Beteiligten, alle Beschuldigten, unternehmen jetzt alles, um die Glaubwürdigkeit des jeweils anderen zu erschüttern. Immerhin geht es um mögliche Anklagen, mögliche Verurteilungen, sogar mögliche Haftstrafen.
Österreich hat ziemlich erschüttert reagiert auf dieses Geständnis. Was ist es denn inhaltlich, das so erschütternd ist?
Wenn man sich die knapp 500 Seiten durchliest, ist das ein Sittenbild der Unmoral, der Korruption, der «Freunderlwirtschaft». Da geht es um Menschen, die auf Posten gehievt werden, nur weil sie das richtige Parteibuch haben. Da geht es um sehr Vermögende, die via WhatsApp-Nachricht, via SMS-Nachricht an Bekannte aus dem Finanzministerium Steuerverfahren abdrehen. Es geht um damals amtierende Finanzminister, die noch nebenbei versuchen, Wein von ihrem Weingut zu verkloppen. Es geht darum, wer mit welchen Methoden Umfragen frisiert – auf Kosten der Steuerzahler versteht sich. Kurz: Das Ganze ist ein wirklich erschütterndes Dokument. Wenn das so stimmt, hat Österreich, hat die ÖVP ein ernsthaftes Korruptionsproblem. Und wir wissen aus anderen Staaten wie Italien, wo solche Skandale um die Democrazia Cristiana hingeführt haben.
Wie sehr ist das Vertrauen in die Demokratie in Österreich durch diese Affäre beschädigt?
Schon sehr stark. Die Politikverdrossenheit war schon vor dem Herauskommen dieser Protokolle gross. Man sieht das in Umfragen. Es vertrauen nur mehr 1/3 der amtierenden Regierung aus ÖVP und Grüne. Das zeigt schon, dass das Vertrauen in das sogenannte «System» erschüttert ist und dass die Leute sich nach etwas Neuem sehnen. Das kann natürlich Raum eröffnen für eine populistische Partei. Das haben wir in anderen Staaten gesehen.
Der jetzige Kanzler Karl Nehammer distanziert sich zwar von Kurz und von Schmid und sagt, das sei die Vergangenheit und das habe nichts mit der jetzigen Regierung zu tun. Kommt er damit durch?
Das bezweifle ich. Denn nach allem, was wir bisher wissen, ist zwar Nehammer persönlich nicht involviert. Da bietet sich für ihn auch die Chance, reinen Tisch zu machen. Es ist die ÖVP als Partei unter Korruptionsverdacht, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt auch gegen die ÖVP als Partei. Das wäre schon der eine Grund, eine Kommission einzusetzen, reinen Tisch zu machen, zu sagen, es sind Fehler passiert, aber wir arbeiten sie auf. Würde man da wirklich einen Schlussstrich ziehen wollen, da hätte Nehammer einiges zu tun. Er hat sich bisher eher lauwarm distanziert von Kurz, sich bisher nie für Fehler entschuldigt. Es ist schon klar, dass er die Entscheidung der Justiz abwarten will. Aber Politik besteht nicht nur aus dem Strafrecht, besteht auch aus Moral. Man hat bei früheren Skandalen so etwas wie eine Ethikkommission eingesetzt, die parteiintern ermittelt. Dafür wäre Zeit, denn Nehammer braucht auch den Handlungsspielraum: Je länger er zuwartet, desto mehr verliert er an Autorität.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.