Darum geht es: Unschönes kam vor einem halben Jahr in Österreich ans Tageslicht: Engste Mitarbeiter von Ex-Kanzler Sebastian Kurz sollen in einer Boulevardzeitung gefälschte Wahlumfragen publiziert haben – bezahlt mit Steuergeld. Der konservative Ex-Kanzler konterte umgehend und sprach von «roten Netzwerken» in der Justiz. Richterinnen und Staatsanwälte fühlten sich massiv unter Druck gesetzt, und manche sahen gar die Gewaltenteilung in Gefahr.
Das ist seit Kurz' Rücktritt passiert: Seit Bundeskanzler Kurz vor einem halben Jahr zurücktrat, hat sich die Lage im Nachbarland beruhigt. Denn mit ihren Rücktritten haben sich Kurz und seine engsten Parteifreunde aus der Schlusslinie genommen. Und der neue Bundeskanzler Karl Nehammer ist nicht in die Affären um Kurz verwickelt.
Das wird Kurz und seiner Entourage vorgeworfen: Konkret geht es um Untreue, Bestechlichkeit, Falschaussage oder um Postenschacher. Im Zentrum steht folgender Vorwurf: Parteifreunde von Ex-Kanzler Kurz hätten in einer österreichischen Boulevardzeitung zu ihren Gunsten frisierte Wahlumfragen publizieren lassen. Für diesen Dienst sei die Zeitung bezahlt oder geschmiert worden – und zwar mit Steuergeldern.
Das meinte Kurz mit «roten Netzwerken»: Als Kanzler Kurz erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft auch gegen ihn ermittelt, ging er schnell zum Angriff über. Kurz, damals auch noch Chef der konservativen österreichischen Volkspartei ÖVP, warf der ermittelnden Staatsanwaltschaft vor, in ihr seien «rote Netzwerke» aktiv. Das heisst: Die Justiz sei links unterwandert und parteiisch.
So reagierte die Justiz: Den Vorwurf der «roten Netzwerke» wies zum Beispiel die Präsidentin des Verbandes österreichischer Richterinnen und Richter, Sabine Matejka, entschieden zurück. Denn in Österreichs Justiz habe das Parteibuch generell nichts verloren. Das gelte insbesondere bei der Vergabe von Richterstellen. Darin unterscheide sich Österreich ganz entscheidend von der Schweiz, so Matejka.
Das ist der Stand in dem Fall: Die Ermittlungen laufen weiter. Noch ist niemand rechtskräftig verurteilt. Insbesondere sind viele Chat-Nachrichten, mit denen der Ex-Kanzler und Ministerinnen und Minister oder engste Freunde untereinander kommunizierten, noch gar nicht ausgewertet. Und parallel dazu tagt in Wien ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der Klarheit in die Korruptionsaffäre bringen soll. Es ist gut möglich, dass noch weitere Vorwürfe dazukommen.
Forderung nach Reformen: Gerhard Jarosch war während vieler Jahre ein leitender österreichischer Staatsanwalt. Er sagt, die Staatsanwaltschaft arbeite gut – sie habe die Affäre um Kurz ja aufgedeckt. Und trotzdem gebe es Handlungsbedarf, um die Justiz noch unabhängiger zu machen. Er verweist darauf, dass es in Österreich nach wie vor keinen Bundesstaatsanwalt gebe. Denn im Nachbarland steht der Justizminister beziehungsweise die Justizministerin der Staatsanwaltschaft vor und kann sich auf diese Weise gar in laufende Verfahren einschalten und diese beeinflussen. Dies müsste Österreich umgehend ändern, sagt Jarosch, der seit kurzem nicht mehr als Staatsanwalt tätig ist.