Der Rückzug von Sebastian Kurz aus der Politik kommt nicht überraschend, wohl aber der Zeitpunkt. Kurz hatte bei seinem Rücktritt als Kanzler am 9. Oktober damit gerechnet, bald in das Amt zurückzukehren.
Die zwei Untersuchungen, die gegen ihn laufen (wegen Falschaussage, Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit), nahm er demonstrativ auf die leichte Schulter. Er werde die Vorwürfe rasch entkräften.
Er hat sich geirrt. Diese Woche kamen neue Beweise gegen Kurz ans Licht. Er musste akzeptieren, dass sein Comeback im Bundeskanzleramt unmöglich geworden ist.
Ein grosses Talent
Kurz ist unbestritten ein aussergewöhnliches politisches Talent. Er übernahm in der verstaubten Volkspartei ÖVP im Jahr 2017 handstreichartig die Macht. Die bislang Mächtigen in den Bundesländern wurden entmachtet.
Der junge Kurz konzentrierte die Macht bei sich und einigen engen Vertrauten. Er benannte die Partei um in «Die neue Volkspartei» und änderte die Parteifarbe von schwarz zu türkis. Dann gewann er die Wahlen und dominierte fortan die nationale Politik.
Doch letztlich scheiterte das politische Ausnahmetalent an sich selber und an seinem ungezügelten Ehrgeiz. Er trat einst an, um der österreichischen Politik ihre alten Laster auszutreiben: Freunderlwirtschaft (Vetternwirtschaft), Verhaberung (gegenseitige Begünstigung) und Inseratenkorruption. Doch die Ermittlungen der Justiz zeigen, dass er sich letztlich genau dieser Instrumente selber bedient hat.
Kurz ist ein begnadeter Kommunikator, ein gewiefter Stratege und ein guter Verkäufer. Er hat der verstaubten Politik in der Donaurepublik eine Frischzellenkur verpasst.
Die Kehrseite war: Oft stellte er «die Inszenierung gnadenlos über den Inhalt», wie es Michael Völker in der Zeitung «Der Standard» treffend formulierte: «Alles hatte sich dem Verkauf seiner Person und seiner angeblich heilbringenden Botschaften unterzuordnen. Kurz arbeitete dabei mit einem klaren Freund-Feind-Schema. Wer nicht bedingungslos für ihn war, galt als Gegner.»
Und weil er so sehr mit der Absicherung seiner Macht beschäftigt war, versäumte er es, einen erkennbaren politischen Plan, eine Vision für Österreich zu formulieren.
Verlorener Rückhalt
Am Schluss brachen die Sünden der Vergangenheit dem Mann mit dem Saubermann-Image das politische Genick. Einerseits der mutmassliche Missbrauch von Steuergeldern zum Kauf manipulierter Meinungsumfragen.
Aber schlimmer wog wohl, dass er altgediente Parteimitglieder in SMS-Nachrichten an seine Vertrauten derb beleidigt hatte. Die früheren Mächtigen der Partei verziehen ihm das nicht. Als sie ihm den Rückhalt entzogen, war der Sturz nicht mehr aufzuhalten.
Was immer man von Sebastian Kurz halten mag: Mit seinem Abgang geht eine spannende politische Ära zu Ende, während der Österreich internationales Interesse entfachte. Und das war auch das Verdienst von Sebastian Kurz. Seine Partei und seine Volkspartei werden sich jetzt neu sortieren und aufstellen müssen. Das wird kaum ohne Grabenkämpfe ausgehen.
Vom jungen Polit-Talent zum gefallenen Kanzler
-
Bild 1 von 11. Erstmals öffentlich in ganz Österreich bekannt wird Sebastian Kurz, als er 2009 zum Vorsitzenden der ÖVP-Jugendorganisation gewählt wird. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 2 von 11. Im Alter von 24 Jahren erlangt Sebastian Kurz 2011 sein erstes Regierungsamt: Er wird Staatssekretär für Integration. An der Seite des damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer signiert er sein Dokument zur Amtseinführung. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 3 von 11. Am 16. Dezember 2013 wird Kurz zum jüngsten Aussenminister der Geschichte Österreichs. Mit gerade einmal 27 Jahren beerbt er seinen Mentor Michael Spindelegger. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 4 von 11. Als Aussenminister versuchte Kurz 2015 während der Atom-Verhandlungen, zwischen den Ländern zu vermitteln. Im Bild der österreichische Präsident Heinz Fischer (Mitte) und der iranische Aussenminister Mohammad Javad Zarif. Bildquelle: Keystone/3.7.2015.
-
Bild 5 von 11. 2017 wird Kurz Parteichef der ÖVP und schneidet die Partei ganz auf seine Person zu. Mit der «neuen Volkspartei ÖVP» in türkiser Farbe gewinnt er Wahl um Wahl. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 6 von 11. Im Dezember 2017 beerbt Kurz SPÖ-Politiker Christian Kern als Bundeskanzler. Seine ÖVP ist mittlerweile stärkste Kraft im Nationalrat, Kurz gerade einmal 31 Jahre alt. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 7 von 11. Für seine erste Kanzlerschaft schmiedet Sebastian Kurz ein Regierungsbündnis mit der rechtspopulistischen FPÖ unter Heinz-Christian Strache. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 8 von 11. Die Ibiza-Affäre bringt im Mai 2019 Strache zu Fall. Auf einem mit versteckter Kamera gefilmten Video schlug der FPÖ-Chef unaufgefordert vor, riesige Staatsaufträge im Austausch gegen illegale Parteispenden zu vergeben. Kurz beendet das Bündnis und wird kurz darauf durch ein Misstrauensvotum im Nationalrat als Kanzler gestürzt. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 9 von 11. Im Herbst 2019 gewinnt die ÖVP die Neuwahlen. Anfang 2020 wird Kurz erneut zum Kanzler gewählt. Diesmal bildet er eine Koalition mit den Grünen unter Werner Kogler. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 10 von 11. 9. Oktober 2021: In einem kurzen Statement vor der Presse verkündet Sebastian Kurz seinen Rücktritt als Österreichs Kanzler. Nach Korruptionsermittlungen war der Druck zu gross geworden. Der 35-Jährige will aber ÖVP-Parteichef bleiben und Fraktionsvorsitzender im Nationalrat werden. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 11 von 11. Am 2. Dezember 2021 verkündet Kurz, dass er sich demnächst aus der Politik zurückziehen will. Seine Begeisterung sei kleiner geworden und die Geburt seines Sohnes habe ihm klargemacht, dass es Wichtigeres gebe, erklärte er den Schritt. Bildquelle: Keystone.