Bundespräsidentin Viola Amherd ist in einer russischen TV-Sendung diffamiert worden – ein Versuch des Kremls, auf die Ukraine-Konferenz in der Schweiz Einfluss zu nehmen. Doch wie funktioniert die Propagandamaschinerie genau? Russland-Korrespondent David Nauer ordnet ein.
Wie steuert der Kreml die Berichterstattung?
Sämtliche Fernsehkanäle und Radiostationen stehen unter Kontrolle der Regierung. Das heisst, da arbeiten nur Leute, die die Linie des Kremls vertreten. Sie wissen, was gesendet werden darf und was nicht, und fragen bei Zweifeln beim Kreml nach. Wer nicht nach diesen Regeln spielt, wurde schon längst entlassen. Denn dieses System der Medienkontrolle gibt es schon lange in Russland.
Werden Verunglimpfungen ausländischer Politiker von oben angeordnet?
Wie das genau funktioniert, weiss man nicht. Aber wir können davon ausgehen, dass solche Dinge von oben angeordnet werden. Ich höre immer wieder von Beispielen; dass etwa bei wichtigen politischen Ereignissen aus dem Kreml «Leitlinien» an die grossen Medien verschickt werden, bis hin zu Listen mit verbotenen Formulierungen. Daher besteht eigentlich kein Zweifel, dass auch die Attacke auf Bundespräsidentin Viola Amherd eng mit dem Kreml abgestimmt wurde.
Wie wird kritische Berichterstattung unterdrückt?
Es gibt Zensurgesetze, die aber nicht so heissen und vor allem den Krieg gegen die Ukraine betreffen. Wer in Russland öffentlich die Armee oder die Kriegsführung kritisiert, muss mit harten Strafen von bis zu mehreren Jahren Gefängnis rechnen. Zudem wurden so gut wie alle kritischen Medien mit Kriegsbeginn 2022 geschlossen oder ins Ausland vertrieben. Es gibt in Russland auch ein allgemeines Klima der Angst. Kritisch eingestellte Russinnen und Russen sagten mir, dass sie in der Öffentlichkeit nicht mehr offen sprechen würden, weil es immer wieder Fälle gebe, wo andere ihre Mitbürger bei der Polizei verraten. In einem solchen Klima ist kritische Berichterstattung unmöglich.
Welche Bedeutung haben Polit-Abendsendungen für die Meinungsbildung?
Viola Amherd wurde in einer Polit-Abendsendung verunglimpft, die unter der Woche im ersten Fernsehkanal Russlands gezeigt wird. Diese Sendung wird moderiert von einer ehemaligen russischen Agentin, die einst in den USA aufgeflogen war. Sie kehrte nach Russland zurück, sitzt für Putins Partei im Parlament und ist schon fast fanatisch antiwestlich. Solche Sendungen sind ein zentraler Pfeiler der russischen Staatspropaganda. Sie berieseln einen grossen Teil der Menschen in Russland jeden Tag mit schrillem Hass auf den Westen und die Ukraine, aber auch mit einer bizarr verzerrten Wahrnehmung der Realität. Der Kreml lässt seine Propagandabotschaft fast schon im Dauermodus verbreiten.
Sind russische Fernseh- und Radiosender für westliche Journalisten noch eine Informationsquelle?
Nein, in der Regel nicht. Ich schaue nur russisches Staatsfernsehen, wenn ich wissen will, was das aktuelle Propaganda-Narrativ ist – also welche Botschaft der Kreml verbreiten will. Ich verwende natürlich andere russische Quellen: Presseagenturen sowie offizielle Verlautbarungen des Kremls, weil ich ja wissen will, was Putin und seine Minister sagen. Dann gibt es viele russische Blogger, die auf Telegram aktiv sind. Sie verbreiten teils ebenfalls Propaganda, bringen jedoch auch immer wieder informative Berichte. Darüber hinaus helfen persönliche Kontakte sowie Exilmedien mit guten Kontakten nach Russland.
Wie hat sich die russische Propaganda seit Beginn des Ukrainekriegs verändert?
Die Propaganda ist viel schriller geworden, viel heftiger antiwestlich und nun stark auf den Krieg fokussiert. Zuerst hat der Kreml gesagt, es sei nur eine kleine militärische Spezialoperation in der Ukraine. Doch seit sich der Krieg länger hinzieht, ist das Propaganda-Narrativ: Man kämpfe jetzt gegen den «kollektiven Westen». Die Schweiz gehört auch zu diesem Westen, weil sie Sanktionen ergriffen hat gegen Russland und die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock organisiert. Daher wird sie als feindliches Land wahrgenommen, was den Angriff auf Bundespräsidentin Amherd erklärt.