Aufgeregte Kinder, die in Jerusalem zu einer Theateraufführung kommen: Man würde nicht meinen, dass Israel im Krieg ist. Was nach Normalität aussieht, ist jedoch alles andere als normal.
Ruth Diskin erklärt. Sie ist Programmdirektorin der Jerusalem Foundation, einer Stiftung, die sich seit mehr als 50 Jahren für die Lebensqualität im multikulturellen Jerusalem einsetzt. Auch mit Geld aus der Schweiz.
Unmittelbar nach Kriegsbeginn begannen Israelis, vor den Angriffen im Süden und im Norden des Landes nach Jerusalem zu flüchten.
Der Krieg zwang Zehntausende Israelis, die im Süden, an der Grenze zum Gazastreifen, oder im Norden, an der Grenze zu Libanon wohnen, vor den Raketen militanter Islamisten in andere Landesteile zu flüchten.
Insgesamt 35.000 Menschen seien in Jerusalem innert kürzester Zeit in 40 Hotels untergebracht worden, sagt Ruth Diskin. Viele hätten kaum mehr mitgenommen als die Kleider, welche sie trugen: «Sie hatten keine Zeit zum Packen. Sie rannten einfach nur um ihr Leben.»
Mit Kultur zum Leben zurück
Die Stiftung habe umgehend reagiert, so Diskin: Mit Besuchen bei geflüchteten Holocaust-Überlebenden, Hilfe bei der Einrichtung zusätzlicher 21 Schulen und der Finanzierung eines Kulturprogramms, um die traumatisierten Evakuierten aus ihren Hotelzimmern zu holen.
Die Aufführung, welche die Jerusalem Foundation bezahlt hat, habe zwei Ziele: Das Theater und sein Personal in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen und die Kinder und ihre Eltern vom Krieg abzulenken, erklärt Sharon Abramovic-Jerdeni, CEO des Jerusalem Theaters.
Die Israelis, die vor der Hamas und den Raketenangriffen flüchteten, sind nicht die einzigen, welche auf die Hilfe von Stiftungen, Freiwilligen und Unternehmen angewiesen sind. Seit dem Beginn des Krieges hat Israel rund 300'000 Reservesoldatinnen und -soldaten aufgeboten, von denen viele gar keine kriegstaugliche Ausrüstung haben.
Das wäre nicht unsere Aufgabe. Aber jetzt ist nicht der Moment, um über Politik zu reden. Und solange die Regierung nichts macht, springe ich ein.
Laurence Zemour ist Immobilienmaklerin in Ranana, einem Vorort von Tel Aviv. Die vierfache Mutter aus Marseille lebt seit 26 Jahren in Israel. Ihr Sohn wurde vor zwei Monaten als Reservesoldat eingezogen: «Diese Soldaten hatten nicht einmal kugelsichere Westen oder Kampfstiefel. Also habe ich bei meinen Kunden und Kundinnen Geld gesammelt und den Soldaten diese Ausrüstung besorgt.»
Zusammen mit ihrem Mann veranstaltet Zemour auf Militärbasen auch Grillabende für die Soldatinnen und Soldaten an der Grenze zu Gaza. Ausrüstung und Essen für die Soldaten besorgen – wäre das nicht die Aufgabe des Staates? Zemour bejaht. Doch jetzt sei nicht der Moment, um über Politik zu reden: «Solange die Regierung nichts macht, springe ich ein.»
Zweieinhalb Monate nach Kriegsbeginn sorgen noch immer Hunderttausende Freiwillige, Unternehmen und Stiftungen dafür, dass das Leben in Israel weitergeht. Mit ihrem Engagement überwinden sie ihren eigenen Schmerz und sorgen zudem für ein Gefühl der Einigkeit im Land, das Premier Netanjahus Regierung vor dem Krieg so gespalten hatte.