Die Lage im Gazastreifen ist prekär, auch für die 136 israelischen Geiseln in den Händen der Hamas. Jetzt sollen sie Medikamente erhalten, wenn im Gegenzug auch die palästinensische Bevölkerung versorgt wird. Was bisher über den Deal bekannt ist, sagt SRF-Auslandredaktorin Susanne Brunner.
Wie ist der Stand der Medikamentenlieferung?
Offenbar sind zwei Flugzeuge aus Katar mit Medikamenten für die Hamas-Geiseln und die palästinensische Zivilbevölkerung in Ägypten gelandet. Pro Schachtel für die Geiseln soll die palästinensische Bevölkerung 1000 Schachteln Medikamente erhalten. Israelische Medien sprechen von einer grossen Konzession Israels. Zuvor hatte der Sender al-Jazira unter Berufung auf das französische Aussenministerium berichtet, dass 45 israelische Geiseln Medikamente für die Behandlung chronischer Erkrankungen wie Asthma, hohen Blutdruck und Diabetes erhielten. Für viele dürften die Medikamente zu spät kommen. Gemäss Schätzungen der israelischen Behörden sind mindestens zwei Dutzend der verbliebenen Geiseln bereits gestorben.
Wie ist der Zustand der Geiseln?
Einige der freigelassenen Geiseln berichteten über die harschen Bedingungen ihrer Gefangenschaft. Zum einen durch die konstante Bombardierung durch Israel, zum anderen durch Gewalt. Auch von unbehandelten Verletzungen war die Rede, die sie bereits bei ihrer Entführung erlitten hatten. Dazu kommen die furchtbaren hygienischen Bedingungen, unter welchen auch die Bevölkerung von Gaza leidet: kein Wasser, kaum Toiletten und psychischer Dauerstress. Das ist für chronisch Kranke lebensbedrohlich – und das seit über 100 Tagen. Ob die Medikamente tatsächlich zu den Geiseln gelangen, kann nicht kontrolliert werden. Das haben die israelischen Behörden eingeräumt. Allerdings dürfe man annehmen, dass die Hamas ein Interesse hat, mindestens einen Teil der Geiseln am Leben zu erhalten. Sonst gibt es wohl keine Verhandlungen mehr mit Israel.
Ist ein neuer Geiseln-Gefangenenaustausch möglich?
Zum Medikamentendeal sind viele Fragen offen. Anzunehmen ist, dass Israel hier buchstäblich «Pflästerlipolitik» betreibt, um die verzweifelten Angehörigen der Geiseln etwas zu beruhigen. Diese demonstrieren immer lautstarker gegen Premier Benjamin Netanjahu. Über eine Waffenruhe oder einen Geisel-Gefangenenaustausch wie im letzten November wird zurzeit offenbar nicht mehr verhandelt. Israel befürchtet, die Terroristen könnten während einer Waffenruhe ihre Kräfte neu bündeln. Allerdings sind Premier Netanjahu auch die Hände gebunden. Einige seiner rechtsextremen Minister drohen, die Regierung zu verlassen, sollte er sich auf einen erneuten Waffendeal mit der Hamas einlassen.
Wie fest sitzt Premier Netanjahu noch im Sattel?
Premier Netanjahu will sich an der Macht halten, obwohl der öffentliche Druck zunimmt. Im Moment wünschen sich nur gerade 15 Prozent der israelischen Bevölkerung, dass er nach dem Krieg weiterregiert. Netanjahu macht entsprechend keine Anzeichen, dass er den Krieg beenden will. Das frustriert selbst die am engsten mit Israel verbündeten USA. Gegen Netanjahu läuft ein Korruptionsprozess, in dem er jetzt Straffreiheit und Immunität verlangt. Das bringt ihm den Vorwurf ein, er sei sich selbst am wichtigsten und tue viel zu wenig für die Freilassung der Geiseln. Heute Morgen sprach eine ehemalige Hamas-Geisel am WEF in Davos und appellierte an die internationale Gemeinschaft, die im Gazastreifen verbliebenen Geiseln zu befreien.