Rund zwei Millionen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger palästinensischer Herkunft leben in Israel und machen damit 20 Prozent der Bevölkerung aus. Auch sie leiden unter der hohen Anspannung wegen des befürchteten Angriffs Irans oder der libanesischen Hisbollah.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs im letzten Herbst trauen sie sich kaum noch, offen zu reden: Kritisieren sie Israel, riskieren sie die Verhaftung. Kritisieren sie militante Palästinenser und deren Verbündete, fürchten sie deren Vergeltung.
Ein Blick in die weltberühmte Verkündigungsbasilika in Nazareth genügt, um zu wissen, dass etwas nicht stimmt: Sie ist leer, mitten in der Hochsaison. An diesem Vormittag haben weitere Fluggesellschaften ihre Flüge nach Israel eingestellt, weil Iran und ihre libanesische Hisbollah-Miliz mit einem Angriff drohen.
Boulos Aburahmun wirkt in seinem Wärterhäuschen vor der Kirche wie auf verlorenem Posten: «Normalerweise besuchen pro Tag 40 bis 50 Gruppen mit je rund 50 bis 60 Leuten die Kirche.» Mehr will er zur angespannten Lage, dem Krieg in Gaza und den Drohungen der Hisbollah und Irans nicht sagen.
Iran und Premier Netanjahu sind das Problem. Netanjahu will keinen Frieden. Trotzdem hilft ihm die ganze Welt.
Kein Blatt vor den Mund nimmt Hani, auch er ein Israeli palästinensischer Abstammung. Er sitzt vor einem Souvenirladen unweit der Kirche, zusammen mit Geldwechsler Jimi. «Zur Hölle mit Iran», sagt Hani sinngemäss: Iran und Premier Netanjahu seien das Problem. Netanjahu wolle keinen Frieden. Trotzdem helfe ihm die ganze Welt. Und die arabischen Staaten seien neidisch auf Israel und auf seine Lebensqualität.
Wir israelischen Araber haben es in Israel besser als in den arabischen Staaten. Die Juden mögen uns sogar besser als die Araber.
«Wir israelischen Araber haben es in Israel besser als in den arabischen Staaten. Die Juden mögen uns sogar besser als die Araber», ergänzt Geldwechsler Jimi. Vor dem Krieg seien jeweils Hunderte von Jüdinnen und Juden am Wochenende nach Nazareth gekommen, um zu flanieren und einzukaufen.
Das Leben vor dem Krieg
«Jimi ist Muslim und ich bin Christ», sagt Hani und beschwört das friedliche Zusammenleben der Religionen in Nazareth. Vor dem Krieg sei diese Strasse wie Paris gewesen. Mit Touristen aus aller Welt, auch aus der Schweiz. «Grüezi wohl, Frau Stirnimaa!», lacht Jimi.
Iran gehe es auch nicht um die Palästinenser, sondern nur um die Zerstörung Israels, so Jimi weiter. Und Hani unterstreicht: «Wir sind glücklich hier, mit Iran haben wir nichts am Hut.»
Tabuthema: Gaza-Krieg
In einem Café im Zentrum Nazareths will gar niemand ins Mikrofon reden. Ist es ausgeschaltet, klagen sie über die Angst, ihre Stelle zu verlieren oder gar verhaftet zu werden.
Wer sich auf den sozialen Medien oder am Arbeitsplatz gegen den Gaza-Krieg äussert, oder Empathie mit der Bevölkerung im Gazastreifen zeigt, riskiert wegen Verdachts auf Terrorismus-Unterstützung verhaftet zu werden. In Nazareth traf es im November sogar vier ehemalige arabisch-israelische Parlamentarier, als sie an einer Demonstration gegen den Gaza-Krieg teilnehmen wollten.
Wir haben Angst um die Zukunft, wir wissen nicht, was passiert.
«Kein Tourismus, keine Kundschaft», konstatiert Aya. Die Verkäuferin arbeitet in einem Geschäft, das sie nicht genannt haben will. Es ist so leer wie die Verkündigungskirche: «Es gibt Leute, die Angst haben, das ist menschlich», sagt die 32-Jährige.
Es ist die Angst vor einem grossen Krieg, vor Angriffen bewaffneter jüdischer und palästinensischer Extremisten. Dazu kommen die seit Jahren grassierende organisierte Kriminalität in Nazareth und die Untätigkeit der Behörden. Und über allem die Angst vor der Zukunft.