Die Ukraine ist auf dem Schlachtfeld auf dem Rückzug. Erst letzten Monat hat sie die Kleinstadt Awdijiwka aufgeben müssen.
Anders dagegen die Situation im Schwarzen Meer. Seit Kriegsbeginn konnte die Ukraine diverse russische Kriegsschiffe versenken. Russland scheint dort unter Druck zu stehen.
Markus Kaim ist Sicherheitsexperte bei der deutschen Stiftung für Wissenschaft und Politik. Im Interview spricht er über die Situation im umkämpften Gewässer und wie sich diese auf das weitere Kriegsgeschehen auswirken könnte.
Herr Kaim, wie beurteilen Sie die aktuelle Kriegslage im Schwarzen Meer?
Markus Kaim: Im Gegensatz zur Lage auf dem Land haben wir im maritimen Bereich ein völlig anderes Bild. Der Ukraine ist es gelungen, den Schifffahrtsweg von ihren Schwarzmeerhäfen wieder freizukämpfen, sodass die Getreidelieferung und die Lieferung von anderen Gütern ungestört erfolgen können. Ausserdem ist die russische Schwarzmeerflotte erheblich geschwächt und in ihren Handlungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt.
Warum konnte die Ukraine im Schwarzen Meer überhaupt die Überhand gegen Russland gewinnen?
Es ist eine Kombination von militärischen Mitteln und technischer Findigkeit. Der Ukraine ist es gelungen, existierende Waffensysteme, die eigentlich dafür gedacht sind, Schiffsanlagen zu zerstören, umzufunktionieren in Anti-Schiffs-Raketen mit grosser Reichweite. Es gibt eindeutige Berichte, dass zahlreiche Schiffe der russischen Marine zerstört worden oder kampfunfähig gemacht worden sind. Beobachter gehen davon aus, dass Russland 40 Prozent seiner Marine im Schwarzen Meer verloren hat.
Zusätzlich spielten die sogenannten maritimen Drohnen – vergleichsweise kleine Boote, die mit einer einfachen Steuerung und Sprengsätzen ins Ziel gebracht werden – eine wichtige Rolle. Dies führte dazu, dass die russische Marine ihr Hauptquartier von Sewastopol nach Noworossijsk zurückverlegen musste – 300 Kilometer weiter entfernt.
Wie wichtig ist hierbei westliche Hilfe?
Die Anti-Schiffs-Raketen, die die Ukraine benutzt, sind zum Teil westlichen Ursprungs. Sie sind aber umfunktioniert worden. Von daher würde ich die Hauptleistung bei der Ukraine sehen. Ebenfalls sind die maritimen Drohnen vor allen Dingen ukrainischer Bauart.
Was bedeuten die russischen Rückschläge im Schwarzen Meer für den weiteren Kriegsverlauf?
Das ist schwer abzuschätzen. Zwei Punkte sind vielleicht zu machen: Militärisch bedroht die Ukraine auf der Krim und der Strasse von Kertsch die russischen Nachschublinien in den Südosten der Ukraine. Das könnte mittelfristig und langfristig Effekte auf die russische Versorgung ihrer eigenen Truppen haben.
Damit schwächt die Ukraine Putins Position.
Dann hat dies eine politische Wirkung: Dass die Ukraine sich im maritimen Bereich so hervorragend schlägt und Russland geschwächt hat, unterminiert das Narrativ von Präsident Putin, dass es sich hiermit um eine leichte Spezialoperation handeln würde, für die Russland letztlich keinen Preis zahlen würde.
Können Sie dies noch ausführen?
Damit schwächt die Ukraine Präsident Putins Position. Bisher ist er noch nicht in seiner Macht gefährdet, wie die russischen Wahlen in diesen Tagen wahrscheinlich unterstreichen werden. Aber unter den russischen Kriegsbloggern ist doch sehr deutlich geworden, dass die russische Marine erhebliche Verluste erlitten hat. Und in den entsprechenden kriegsinteressierten Szenen in Russland wird das aufmerksam registriert.
Das Gespräch führte Nico Bär.