Die ukrainische Luftwaffe hat in der Nacht auf Dienstag das russische Landungsschiff «Nowotscherkassk» der Schwarzmeerflotte in der Hafenstadt Feodossija mit Marschflugkörpern angegriffen. Während die Ukraine das Kriegsschiff zerstört haben will, spricht Moskau von «Beschädigung», einem Toten und dem Abschuss zweier ukrainischer Kampfjets. SRF-Russland-Sonderkorrespondentin für die Region, Judith Huber, zum aktuellen Wissensstand.
Wie glaubhaft sind die Aussagen der Kriegsparteien?
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die «Nowotscherkassk» beim Angriff nur beschädigt wurde. Aufnahmen von Anwohnern im Netz zeigen gewaltige Explosionen, als das Kriegsschiff getroffen wurde und offenbar auch der auf dem Schiff geladene Sprengstoff detonierte. Es soll sich dabei um Drohnen oder sogar Raketen gehandelt haben. Andere Bilder zeigen Trümmerteile, die durch die Explosion in die Stadt Feodossija geschleudert wurden. Bilder vom Ankerplatz zeigen nur noch verkohlte Überreste. Zeugen, welche die Aufnahmen in Netz stellten, sollen strafrechtlich verfolgt werden. Das könnte darauf hindeuten, dass Russland etwas zu verstecken hat.
Welche Bedeutung hatte das Schiff für Russland?
Von diesen Landungsschiffen für Waffen- und Truppentransporte hatte Russland zu Beginn des Krieges zehn Stück. Zwei sind inzwischen zerstört, wenn man den jüngsten Fall betrachtet, und ein weiteres ist beschädigt. Überhaupt ist die einst stolze russische Schwarzmeerflotte empfindlich dezimiert. Russland musste die Kriegsschiffe nach dem Angriff der Ukraine auf das Flottenhauptquartier in Sewastopol im September bereits verlegen. Nun war auch der Hafen von Feodossija im Osten der besetzten Halbinsel Krim in der Reichweite der vom Westen an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper. Die Landungsschiffe sind für Russland insbesondere wichtig, falls die Kertsch-Brücke als Landverbindung ausfallen oder zerstört würde. Insgesamt ist es also ein deutlicher Rückschlag für die russische Armee.
Ist der Ukraine ein kleiner «Coup» gelungen?
Wichtig für die Ukraine ist der Schlag in Feodossija vor allem, weil er der Bevölkerung eine gewisse Zuversicht in sehr schwierigen Zeiten gibt. Einen weiteren Erfolg vermeldete die Ukraine mit dem Abschuss mehrerer russischer Jagdbomber über die Festtage. Entsprechend kann Kiew den westlichen Verbündeten zeigen, dass es mit den richtigen Waffen durchaus Erfolge gibt. Nach dem Schlag in Feodossija werden sowohl ukrainische Städte wie auch der Handelsverkehr auf dem Schwarzen Meer etwas sicherer. Seit dem Abschuss der Kampfbomber, welche sogenannte Gleitbomben abwarfen, sollen die Angriffe auf die ukrainischen Truppen an den Frontabschnitten etwas nachgelassen haben.
Wie erfolgreich ist die ukrainische Armee zurzeit?
Es gibt sich ein gemischtes Bild, die Front ist lange und vielfältig. Die Russen haben gestern verkündet, sie hätten die Ortschaft Marjinka erobert. Das muss allerdings relativiert werden, war doch der Ort schon länger weitgehend unter russischer Kontrolle. Die russische Armee brauchte Monate, um Gebiete wenige Kilometer darum herum zu erobern. Allerdings ist die ukrainische Armee manchenorts wegen Munitionsmangels unter Druck. Dazu kommen die ständigen und zermürbenden Luftangriffe der Russen auf Städte. Am Dienstagabend etwa war der Bahnhof in Cherson betroffen, als Zivilisten auf einen Evakuierungszug warteten.