Der russische Präsident Wladimir Putin hat vor einem Atomkrieg gewarnt und die russischen Atomwaffen in «besondere Alarmbereitschaft» versetzen lassen. Droht Europa wirklich ein Atomkrieg? Eine Einordnung.
Was bedeutet die «besondere Alarmbereitschaft»? Das russische Sicherheitssystem sieht für die «Abschreckungswaffen», die auch die Atomwaffen umfassen, vier Eskalationsstufen vor. Die «besondere Alarmbereitschaft» entspricht der zweitniedrigsten Stufe. Bereits 2014, nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, hatte Putin den gleichen Befehl gegeben wie jetzt.
Warum hat Putin das getan? Putin begründet den Schritt mit den «aggressiven» Äusserungen anderer Staaten gegen Russland. Zuvor hatte er Staaten, die sich in den Ukraine-Krieg einmischen würden, mit den schlimmsten Konsequenzen der Geschichte gedroht – also mit einem Atomkrieg.
Wie viele Atomwaffen hat Russland überhaupt? Russland verfügt über schätzungsweise 5977 Atomsprengköpfe und ist damit die weltgrösste Atommacht vor den USA (5428 Atomsprengköpfe), China (350) und Frankreich (290). Die meisten Atomwaffen würden mit Flugzeugen oder Raketen ins Ziel gebracht. Es gibt neben landgestützten Raketen auch solche, die von U-Booten abgefeuert werden können.
Sind Atomwaffen gleich Atomwaffen? Nein. Es gibt Atomwaffen mit grosser Reichweite und gigantischer Zerstörungskraft. Russische Langstreckenraketen können innerhalb von etwa fünf Minuten Deutschland oder innerhalb von etwa 20 Minuten die USA erreichen und eine Millionenstadt dem Erdboden gleichmachen. Russland verfügt aber auch über sogenannte taktische Atomwaffen, welche die Artillerie über eine Distanz von zum Beispiel 15 Kilometern ins Ziel bringen kann und die eine deutlich geringere Zerstörungskraft hätten.
Kann Putin allein über den Einsatz entscheiden? Damals in der Sowjetunion hätten mehrere Personen an der Staatsspitze einem Atomwaffeneinsatz zustimmen müssen. Wie die atomare Befehlskette in der Nachfolgerepublik Russland organisiert ist, ist im Detail nicht bekannt. Vermutlich kann Putin als Präsident und Oberbefehlshaber den Befehl zum Atomkrieg selbst erteilen. Wer aber welchen Knopf drücken müsste, ist eine andere Frage.
Vermutlich kann Putin als Präsident und Oberbefehlshaber den Befehl zum Atomkrieg selbst erteilen.
Wie würde der Westen auf einen Atomkrieg reagieren? Würde Putin die amerikanische Hauptstadt Washington mit einer Atomrakete zerstören, könnten die USA als Vergeltung Moskau dem Erdboden gleichmachen. Es käme zu einer Zerstörung unvorstellbaren Ausmasses. Wahrscheinlicher wäre allerdings – wenn überhaupt – ein Angriff auf einen Militärstützpunkt oder der Einsatz einer taktischen Atomwaffe in der Ukraine. Ob der Westen darauf mit einem atomaren Gegenschlag reagieren würde, ist offen.
Wie hat der Westen bislang reagiert? Die USA und ihre Verbündeten haben beschwichtigend auf die bisherigen Schritte Putins reagiert. US-Präsident Joe Biden sagte, es gebe keinen Grund, sich vor einem Atomkrieg zu fürchten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte, es gebe keine Notwendigkeit, die eigene Alarmstufe zu ändern.
Wie wahrscheinlich ist ein Atomkrieg tatsächlich? Letztlich kennt niemand die Antwort auf diese Frage, weil sich niemand in den Kopf des russischen Präsidenten Wladimir Putin versetzen kann. Vermutlich will Putin nur für Furcht und Vorsicht seitens des Westens sorgen. Doch sollte sich Putin im weiteren Verlauf des Ukraine-Kriegs in die Enge getrieben sehen, kann ein Atomschlag nicht völlig ausgeschlossen werden.