Seit einem Monat herrscht Krieg in der Ukraine. Am 24. Februar hat die russische Armee das Nachbarland angegriffen. Der Plan des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die Ukraine innert Tagen zu erobern, ging nicht auf. Die ukrainische Armee und auch die Zivilbevölkerung leisten erbitterten Widerstand. Die russische Armee hat grosse Verluste erlitten.
Millionen Menschen in der Ukraine wurden zu Flüchtlingen. SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky ist zurzeit in der Nähe von Odessa am Schwarzen Meer. Dort fürchtet man sich vor Zuständen wie in Mariupol.
SRF News: Wie erleben Sie die aktuelle Lage dort?
Luzia Tschirky: Ich erlebe eine sehr angespannte Situation in Odessa. Ich habe heute Morgen mit dem Bürgermeister der Stadt sprechen können, und er hat gesagt, man würde sich auf das Schlimmste vorbereiten. Man hoffe weiterhin sehr, dass es noch Unterstützung von der Nato gebe. Man hoffe weiterhin, dass der Himmel über der Ukraine tatsächlich geschützt werde. Doch sollte dies nicht passieren, dann würde die Stadt ein gleiches Schicksal ereilen wie die Stadt Mariupol am Asowschen Meer.
Odessa bereitet sich auf das Schlimmste vor.
Seit vier Wochen herrscht nun bereits Krieg in der Ukraine. Der Widerstand im Land ist gross. Überrascht Sie das?
Mich persönlich überrascht der Widerstand der Ukrainerinnen und Ukrainer angesichts der Tatsache, dass sie sich bereits seit acht Jahren gewohnt sind, von Russland angegriffen zu werden, nicht. Doch die Brutalität, die die russische Armee seit dem 24. Februar, seitdem Putin der Ukraine den Krieg erklärt hat, an den Tag legt, ist sehr überraschend.
Für viele Menschen ist es schlicht nicht vorstellbar gewesen, dass die russische Armee dermassen brutal gegen den Nachbarstaat vorgehen würde. Dass dies aber die Ukrainerinnen und Ukrainer nur noch mehr eint und nur noch entschlossener macht in ihrem Widerstand, dies hat mich persönlich nicht überrascht.
Ein Berater Putins hat sein Amt niedergelegt. Wie ordnen Sie das ein?
Grundsätzlich ist es sehr schwierig, von aussen eine Beurteilung zu machen, wie es jetzt genau um Putins engsten Kreis steht. Anatoli Tschubais, jener Berater, der nun sein Amt niedergelegt hat, gehörte schon seit Jahren nicht mehr zum engsten Kreis. Er war ein Vertreter der liberalen Reformen der 90er Jahre.
Und in diesem Sinne kann man aufgrund seines Rücktritts und auch seines angeblichen Verlassens Russlands in Richtung Westen noch nicht darauf schliessen, dass es nun unmittelbar im engsten Kreis Putins zu Widerstand kommen würde. Ich denke, hier hat ein Berater Putins das Land verlassen, welcher sich schon seit längerem sehr weit von der russischen Führung entfernt hat.
Schauen wir nach vorn: Wo stehen wir in vier Wochen in diesem Krieg?
Ein Blick in die Zukunft ist in der aktuellen Situation sehr schwierig. Es ist natürlich zu hoffen, dass dieser Krieg möglichst bald ein Ende findet. Zum aktuellen Zeitpunkt ist dieser jedoch nicht absehbar und ich persönlich befürchte, dass weitere Städte das gleiche Schicksal ereilen könnte wie Mariupol und Charkiw. Das heisst, dass weitere ukrainische Städte durch die russische Armee vollständig zerstört werden könnten.
Das Gespräch führte Bettina Studer.