Zwei ukrainische Militärhelikopter haben laut russischen Angaben ein Treibstofflager im russischen Belgorod nahe der Grenze angegriffen. Dadurch sei ein Brand in dem Lager ausgebrochen, teilt der Regionalgouverneur mit. Klar ist die Faktenlagen indes nicht, sagt Militärexperte Georg Häsler.
SRF News: Wie gesichert ist die Information, dass die Ukraine einen Luftschlag auf ein Öllager auf russischem Gebiet verübt hat?
Georg Häsler: Die russische Seite verbreitet den Angriff über die offizielle Nachrichtenagentur Tass, der ukrainische Generalstab will sich nicht äussern. Die Faktenlage ist also nicht geklärt.
Wie realistisch wäre überhaupt ein Angriff mit Kriegshelikoptern auf russische Ziele? Ist Russland da nicht abgesichert?
Die ukrainischen Kampfhelikopter müssten unter dem russischen Radar geflogen sein. Das ist zumindest erstaunlich: Die russische Armee verfügt mit dem S400-Luftabwehrsystem auch über eine hochmoderne Sensorik.
Auch die Nato sieht, was sich im Luftraum abspielt.
Könnte es also eine «False Flag»-Operation gewesen sein?
Im konkreten Fall wäre eine «False Flag», also eine unter «falscher Fahne», sprich von eigenen Kräften durchgeführte Aktion, die den anderen zugeschrieben wird, eher erstaunlich. Denn auch die Nato sieht, was sich im Luftraum abspielt.
Wie interpretieren sie dieses vermeintliche Verwirrspiel der russischen Seite, wenn man von der Annahme ausgeht, dass es kein ukrainischer Angriff war?
Dies könnte die Begründung für eine härtere Gangart Russlands im Krieg liefern.
Die ukrainische Armee darf zur Selbstverteidigung auch offensive Aktionen jenseits der Grenze durchführen.
Wie sieht es völkerrechtlich aus? Darf die Ukraine theoretisch solch einen Luftangriff fliegen auf russisches Gebiet?
Die Ukraine befindet sich völkerrechtlich im Krieg mit Russland. Es gilt das ius in bello. Die ukrainische Armee darf zur Selbstverteidigung auch offensive Aktionen jenseits der Grenze durchführen.
Hätte die Ukraine überhaupt die militärischen Kapazitäten in grossem Stil Ziele in Russland anzugreifen?
Das ist genau das Problem der Ukraine: Es fehlen der Armee Kiews starke Offensivkräfte, also Panzer oder Kampfflugzeuge. Nur mit offensiven Aktionen kann sich ein Verteidiger letztlich gegen einen Angreifer durchsetzen. Dieses Konzept nennt sich «aktive Verteidigung».
Falls der Angriff auf das Tanklager tatsächlich stattgefunden hat, zeugt er von einem stärkeren Selbstbewusstsein der ukrainischen Armee.
Kann man von einer neuen Dimension im Kriegsverlauf sprechen? Einer neuen Stufe der Eskalation?
Der Krieg wird zunehmend härter geführt. Falls der Angriff auf das Tanklager tatsächlich stattgefunden hat, zeugt er von einem stärkeren Selbstbewusstsein der ukrainischen Armee.
Wo stehen wir allgemein im aktuellen Kriegsverlauf, kann man das sagen?
Nach einigen Tagen der Stagnation sehen wir den Beginn einer neuen Phase. Es ist wieder Dynamik ins Kampfgeschehen gekommen. Wo die Schwergewichte genau liegen, lässt sich wohl erst nach dem Wochenende abschätzen.
Das Gespräch führte Alexandros Koulouris.