Zahlreiche Staats- und Regierungschefs, Minister und Parlamentsdelegationen besuchten jüngst Kiew. Etliche Spitzenpolitiker tauschten sich auch aus mit dem russischen Diktator Wladimir Putin. UNO-Generalsekretär António Guterres hingegen zögerte lange. Er ist vom Naturell her vorsichtig und ist ein erfahrener Politiker und Spitzendiplomat. Und weiss daher sehr wohl, dass er derzeit selbst mit Besuchen vor Ort wenig erreichen kann.
Doch mit der Zeit stieg der Druck auf ihn. Immerhin ist der oberste UNO-Chef quasi von Amtes wegen verpflichtet, sich persönlich als Vermittler zumindest anzubieten. Die Wahrung des Weltfriedens ist die Kernaufgabe der Vereinten Nationen.
Von einer echten Friedensvermittlung mag Guterres aber vorläufig gar nicht erst reden. Einen Friedensplan, der vorläufig ohnehin chancenlos wäre, hatte er nicht im Gepäck. «Dieser Krieg lässt sich nicht mit Spitzentreffen beenden. Dieser Krieg endet, wenn Russland bereit ist, ihn zu beenden», erklärte er nüchtern in Kiew.
Pressekonferenz nur mit Lawrow
Deutliche Worte über die Verantwortlichkeit Moskaus fand Guterres von Anfang an: Russland verletze Völkerrecht und foutiere sich um die UNO-Charta. Putin war deshalb wochenlang nicht einmal bereit, mit dem Portugiesen zu telefonieren. Immerhin empfing er ihn nun am superlangen Tisch. Für eine gemeinsame Pressekonferenz musste der UNO-Generalsekretär indes mit Aussenminister Sergej Lawrow vorliebnehmen, der in Moskau nichts zu entscheiden hat – eine Desavouierung. Und ausgerechnet am Tag, als Guterres in Moskau weilte, intensivierte Russland die Kämpfe. Auch das ist ein Signal.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski wiederum äusserte sein Missfallen, weil der UNO-Chef zuerst Moskau und dann erst Kiew besuchte. Er hätte sich zunächst mit den Menschen in der Ukraine austauschen, ihr Leid sehen müssen. Das tat Guterres nun an drei schwergeprüften Orten in der Ukraine und äusserte sich tief bewegt und betroffen.
UNO leistet wertvolle Unterstützung
Doch obschon er substanziell – erwartungsgemäss – so gut wie nichts erreichte, war sein Besuch wichtig. Es wäre nicht verstanden worden, wenn der UNO-Generalsekretär nicht persönlich im Terrain erschienen wäre. Seine Präsenz erlaubte es aufzuzeigen, dass die UNO vor Ort nicht untätig ist, vielmehr sehr präsent.
Mit mehr als 1400 Leuten aus diversen Institutionen vom UNO-Flüchtlingshilfswerk über die UNO-Nothilfeorganisation bis zur UNO-Atombehörde. Sie alle können wertvolle Unterstützung leisten, selbst wenn der UNO-Sicherheitsrat wegen des russischen Vetorechts blockiert ist und in der UNO-Generalversammlung längst nicht alle Staaten voll auf ukrainischer Seite stehen, obschon völlig klar ist, wer im Ukrainekrieg Täter und wer Opfer ist.
Guterres muss weiterhin alles versuchen
Guterres lenkt mit seiner Visite den Blick der Welt auf die Leidtragenden. Er erhöht so die Bereitschaft zu helfen und Flüchtlinge aufzunehmen. Und er zeigte, dass es neben dem grossen Ziel, möglichst rasch Frieden zu schaffen, auch kleinere Ziele gibt, um Not zu lindern: Einen besseren Zugang für humanitäre Hilfe oder sichere Korridore, etwa um den noch immer rund 100'000 in Mariupol eingekesselten Menschen die Wegreise zu ermöglichen. Guterres schlägt deshalb eine Kontaktgruppe für solche humanitären Fragen vor – bestehend aus der UNO, der Ukraine und Russland. Ob der Kreml einwilligt, ist ungewiss.
Im besten Fall erreichte Guterres mit seiner Reise humanitäre Erleichterungen. Im schlechtesten warf er sein persönliches Prestige und das seines Amtes in die Waagschale und kehrt mit leeren Händen zurück. Das ist nicht sein Fehler. Nicht hinzufahren, wäre auch keine Lösung gewesen. Und: Guterres muss weiterhin alles versuchen.