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Krieg in der Ukraine Die Wiedergeburt der Techno-Szene von Kiew

Vor dem Krieg galt die Techno-Szene von Kiew als eine der besten der Welt. Jetzt erwacht sie wieder zum Leben – völlig verändert und mit neuer Sinnhaftigkeit.

«Art is a weapon» – Die Kunst ist eine Waffe, steht auf einer Mauer vor dem Club Otel`. Es klingt, wie das neue Motto der Techno-Szene in Kiew, die langsam wieder zum Leben erwacht. Doch nichts ist mehr so, wie vor dem Krieg. Denn nun gilt das Kriegsrecht mit Ausgangssperre ab Mitternacht. Und das bedeutet: Die Techno-Party beginnt nicht mehr um 23 Uhr, wie früher, sondern nachmittags um vier und ist um 22 Uhr schon wieder zu Ende.

Früher begann die Party oft mit langsamer Musik. Jetzt haben wir weniger Zeit fürs Tanzen, weniger Zeit zum Entspannen. Deshalb ist das Tempo von Anfang an schneller.
Autor: DJ im Club Otel`

Die Folgen beschreibt Pawlo Djerkatschov, Betreiber des Clubs Otel`, so: «Die Partys sind jetzt viel intensiver und komprimierter, fast wie ein Konzert.» Ein DJ erklärt: «Früher begann die Party oft mit langsamer Musik. Jetzt haben wir weniger Zeit fürs Tanzen, weniger Zeit zum Entspannen. Deshalb ist das Tempo von Anfang an schneller. Alles ist intensiver. Der Rhythmus unseres Lebens ist schneller geworden. Die Leute wollen mehr Emotionen in kurzer Zeit.»

Techno als politisches Statement

Einen eigentlichen Techno-Boom erlebte Kiew 2014 nach dem Euromaidan-Aufstand. Mit Techno-Partys demonstrierte die Jugend in Kiew ihre europafreundliche Haltung und die Unterstützung für die in Russland so verhasste LGBTQ-Bewegung. Ein Techno-Hype war die Folge und die Clubs schossen aus dem Boden. «Kiew ist das neue Berlin» titelte die Zeitung «Die Welt» noch wenige Tage vor Kriegsausbruch.

Menschen.
Legende: Die Menschen warten vor dem Otel` auf Einlass. SRF

Billige Mieten, leere Immobilien und ein gewisses Post-Sowjet-Ambiente erinnerte viele Besucher an das Berlin der 90er Jahre. Das beflügelte die Techno-Szene. Kurz vor dem Krieg eröffnete ein Club ohne Namen seine Türen, gebaut vom Architektur-Team, das einst den Berliner Rave-Tempel «Berghain» konzipiert hatte. Sofort strömten Hunderte Raver nach Kiew. Sofern die Pandemie-Regeln es zuliessen. 19.99 Euro kostet das günstigste Flugticket Berlin-Kiew. Bis der Krieg kam.

Der Club als Spendensammler für die Armee

Nicht nur die Raves haben sich verändert, sondern der Existenzzweck des Clubs. «Früher war dieser Club ein Ort für die Entwicklung der Techno-Kultur. Jetzt ist der Hauptzweck des Clubs, der Armee zu helfen», so Andrij, ein ukrainischer Techno-Experte.

Tatsächlich: Bei fast allen Raves geht ein Teil des Eintrittsgeldes direkt an die ukrainische Armee. Im ganzen Club, sogar auf der Toilette, findet man die Aufforderung, Geld per QR-Code an die Streitkräfte zu überweisen. Text neben der WC-Schüssel: «Wenn du sitzt, denk an die Nation.» Oftmals kämen auch Soldaten auf Heimurlaub zu den Partys. Sie sähen dann, wofür sie an der Front kämpfen, heisst es vonseiten des Clubs.

Hier im Club höre ich die Alarmsirenen nicht, deshalb fühle ich mich hier in Sicherheit.
Autor: Maija

Russland greift auch in Kiew immer wieder Heizkraftwerke, Elektrizitätsinfrastruktur oder die Wassertürme an. Deshalb werden in der Nähe solcher Infrastruktur keine Partys durchgeführt. Doch der Krieg ist auch beim Tanzen in fast allen Köpfen. «Hier im Club höre ich die Alarmsirenen nicht, deshalb fühle ich mich hier in Sicherheit», erklärt Besucherin Maija.

«Ich bin nicht wirklich in Partystimmung, weil ich weiss, dass meine Freunde gerade im Süden an der Front kämpfen», so Besucher Dmytro. Trotzdem geniessen alle das kleine Stück Normalität im Techno-Club. Dass die frühere Ausgelassenheit derzeit fehle, sei normal, sagt Clubbetreiber Pawlo: «Russland will uns in die Dunkelheit bomben. Aber in dieser besonderen Zeit ist die Hauptsache, die Kultur, das Leben und Geld für unsere Landesverteidigung.»

Tagesschau, 09.04.2023, 19:30 Uhr

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