In der Ukraine sollen humanitäre Korridore geschaffen werden, damit Zivilisten evakuiert werden können. Darauf haben sich Russland und die Ukraine am Donnerstag geeinigt. Friedrich Schmidt, Korrespondent der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» FAZ in Moskau, ist skeptisch: Denn auf dem Schlachtfeld in der Ukraine sei eine starke Verhärtung zu spüren – und ebenso im Umgang mit kritischen Stimmen in Russland selbst.
SRF News: Kann man die Zusage Russlands, humanitäre Korridore zu schaffen, für bare Münze nehmen?
Friedrich Schmidt: Ich bin da sehr skeptisch. Putin hat am Donnerstag gesagt, man richte die ganze Zeit humanitäre Korridore ein – aber die ukrainischen Nationalisten hielten sich nicht daran. Der russische Präsident hat also so getan, als würde es die Korridore bereits geben. Obwohl seine eigenen Unterhändler noch darüber verhandelten. Man hat auch in anderen Schauplätzen – insbesondere in Syrien – gesehen, dass diese Zusagen nicht immer etwas wert sind.
Putin erklärt, die Militäroperation laufe nach Plan – das deutet es auf eine starke Verhärtung hin.
Zudem sollen auch die Details solcher Korridore noch geklärt werden. Die Unterhändler Russlands und der Ukraine wollen sich nächste Woche wieder treffen, wohl in Belarus. Man muss abwarten, was nun konkret folgt.
Warum lässt man dann überhaupt verlauten, dass man humanitäre Korridore einrichten will?
Es ist gut, wenn man nicht nur kämpft, sondern zeigt: Wir machen auch humanitäre Gesten. In Kriegen heisst es ja immer, dass man die Zivilbevölkerung schont. Das sagt auch Russland. Auch wenn die Berichte von vor Ort etwas anderes sagen. Allerdings erklärte Putin am Donnerstag, dass die Militäroperation nach Plan laufen würde. Das deutet überhaupt nicht darauf hin, dass es irgendein Entgegenkommen gibt. Vielmehr deutet es auf eine starke Verhärtung hin. Auch in den Botschaften, die das russische Fernsehen oder die der hiesige Machtapparat aussendet, erkenne ich keine Zeichen eines Entgegenkommens.
Also ist es auch ein Zeichen nach Innen: Russland ist gerecht und fair. Kommt das so an in der russischen Bevölkerung?
Bei einem Teil der Bevölkerung kommt das sicher so an. Ich habe den Eindruck, dass es eine recht starke Spaltung in der russischen Gesellschaft gibt. Manche Menschen sind total schockiert darüber, was in der Ukraine passiert. Andere glauben das, was die russische Führung vermittelt – dass man einen Präventivkrieg gegen den Westen und gar nicht gegen die Ukrainer führt. Demnach kämpft man gegen Neonazis, die der Westen gegen Russland instrumentalisiert. Das ist eine ziemlich krasse Botschaft, die bei einem Teil der Leute offenbar immer noch verfängt.
Die russische Führung versucht, die desaströsen Berichte aus der Ukraine irgendwie einzufangen.
Das bedeutet auch, dass es nach wie vor Proteste in Russland gibt?
Ja. Auch am Donnerstag gab es in 22 Städten über 400 Festnahmen. Seit Kriegsbeginn wurden 8100 Menschen festgenommen. Ein Massenphänomen sind die Proteste aber nicht. Die Führung macht alles dafür, dass die Proteste abgewürgt werden. Eine Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft hat eben erst gesagt, wer sich an solch illegalen Aktionen beteilige, könne mit bis zu sechs Jahren Lagerhaft bestraft werden. Zudem werden immer mehr Webseiten blockiert. Auch hier gibt es also eine enorme Verhärtung und den Versuch, die desaströsen Berichte aus der Ukraine irgendwie einzufangen.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.