Der russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin soll bei einem Flugzeugabsturz nördlich von Moskau ums Leben gekommen sein. Ebenso Wagner-Kommandant Dmitri Utkin. Der Telegram-Kanal von Wagner meldete den Tod ihres Chefs, laut Russland stand Prigoschins Name auf der Passagierliste. Die aktuelle Informationslage lasse aber weiterhin keine gesicherten Aussagen zu, sagt Russland-Experte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen.
SRF News: Wie sicher ist es, dass Prigoschin und Utkin ums Leben gekommen sind?
Ulrich Schmid: Es gibt widersprüchliche Informationen. Wir wissen nicht, ob das Flugzeug aufgrund eines Pilotenfehlers abgestürzt ist, wie es das Ermittlungskomitee annimmt. Oder ob es, wie andere Quellen verlauten, womöglich abgeschossen wurde. Es gibt im Moment auch keine verlässlichen Informationen darüber, ob Prigoschin tatsächlich an Bord war.
Wem nützt es, wenn Prigoschin tot ist oder tot wäre?
Nach dem Aufstand von Prigoschin im Juni hat Putin ihn öffentlich einen Verräter genannt. Das ist die schlimmste Kategorisierung, die Putin überhaupt vornehmen kann. In diesem Sinn wäre ein absichtlich herbeigeführter Absturz tatsächlich eine Strafaktion von Putin persönlich.
Noch wird intensiv in diese Richtung spekuliert. Wie wahrscheinlich ist es, dass Kremlchef Putin dahintersteckt?
Es ist durchaus möglich, dass Prigoschin jetzt zu Tode gebracht worden ist. Eine andere diskutierte Möglichkeit: Putin wahrt mit einer spektakulären Exekution des Verräters gegen aussen sein Gesicht, während Prigoschin seinen Tod vortäuscht und möglicherweise unter einer neuen Identität weiterhin für den Kreml nützliche Aufträge ausführt. Dass die Öffentlichkeit je davon erfahren wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn falls Prigoschin wieder auftauchen würde, wäre der Effekt dieser spektakulären Hinrichtung dahin.
Sind die Wagner-Truppen für einen allfälligen Ausfall ihrer Führungsspitze vorbereitet? Könnte jemand nachrücken?
Es gibt eine ganze Reihe von Wagner-Kommandanten, die einige Zeit nach dem Aufstand persönlich bei Putin erschienen sind. Es kann durchaus sein, dass an diesen Treffen irgendwelche Abmachungen über das weitere Vorgehen mit der Wagner-Truppe erfolgten. Diese tut in Afrika sehr viel für Russland und führte in der Ukraine in Bachmut sehr wichtige Aktionen durch.
Gibt es andere Privatarmeen oder Gruppierungen, die für Wagner nachrücken könnten?
Seit 2014 gibt es in Russland eine ganze Reihe von privaten militärischen Kompanien, die relativ flexibel mit Söldnern umgehen können. Das Verteidigungsministerium versuchte auch selber, mehr Zeitsoldaten zu rekrutieren. Mittlerweile sind die Grenzen zwischen den Privatarmeen und den Zeitsoldaten für das Verteidigungsministerium fliessend geworden. Es wird spekuliert, dass viele Wagner-Söldner in die Söldnergruppe Redut übernommen werden, die relativ eng vom militärischen Geheimdienst kontrolliert wird.
Kann die Ukraine von dieser Entwicklung profitieren?
Der Tod von Prigoschin ist wohl eine gute Nachricht für die Ukraine. Alles, was auf Spannungen innerhalb der russischen Militärführung hindeutet, schwächt die russische Angriffsseite. Entsprechend hat sich die ukrainische Führung bereits geäussert.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.