An der zentralen Athener Diligiannis-Strasse wartet rund ein Dutzend Frauen auf den Fernbus aus der Ukraine. Es sind ukrainische Einwanderinnen zwischen 50 und 60 Jahren, die ungeduldig auf ihre Mobiltelefone starren oder auf die Strasse schauen.
Darunter auch Ira Potschontek. Sie wartet auf ihre Tochter und zwei Enkelkinder. «Wir haben zwar hier nur eine kleine Wohnung, aber das macht nichts. Sie werden hier sicher sein und ihre Ruhe haben.»
Etwa 13'000 ukrainische Menschen sind seit Kriegsbeginn nach Griechenland geflüchtet. Täglich kommen einige 100 hinzu. Die meisten haben in Griechenland Familienangehörige, die nach dem Zerfall der Sowjetunion als Arbeitsmigranten ins Land kamen und geblieben sind.
Breite Unterstützung für die Geflüchteten
In Griechenland angekommen, können die ukrainischen Flüchtlinge innerhalb von 90 Tagen eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, können arbeiten und sind krankenversichert.
Neben den freien Plätzen in Flüchtlingsunterkünften und Hotels stellen auch Gemeinden, Institutionen und Privatpersonen ukrainischen Flüchtlingen Schlafplätze zur Verfügung. Sogar eine Jobbörse speziell für ukrainische Geflüchtete soll es bald geben.
Für den griechischen Migrationsminister Notis Mitarakis steht die Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine ausser Frage, wie er in einem Interview im griechischen Fernsehen sagte: «Die Ukraine grenzt an vier Ländern der Europäischen Union. Es ist eine Krise in unserer Nachbarschaft. Deshalb wird auch Griechenland diesen Menschen helfen, so wie die gesamte EU das tut.»
Die Ukraine grenzt an vier Ländern der Europäischen Union. Es ist eine Krise in unserer Nachbarschaft.
Geflüchtete aus anderen Ländern hingegen können nach wie vor kaum über legale Wege nach Griechenland oder in ein anderes EU-Land gelangen. Sie müssen gefährliche Fluchtwege mithilfe von Schleppern in Kauf nehmen. Und wenn sie es schaffen, in Griechenland anzukommen, müssen sie oft jahrelang in abgeschotteten Flüchtlingslagern auf ihren Asylbescheid warten.
Notis Mitarakis erklärt die unterschiedliche Behandlung so: «Die anderen Migrationsströme nach Europa bestehen vor allem aus Menschen, die von weit weg herkommen. Diese Menschen reisen durch sehr viele sichere Länder, um nach Europa zu gelangen. Das ist gegen den Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention. Deshalb sage ich, im Gegensatz zu diesen Menschen, sind die Flüchtlinge aus der Ukraine ‹wahre Flüchtlinge›.»
Diese Argumentation der griechischen Regierung könne man so auf keinen Fall stehen lassen, kritisiert Stella Nanou vom UNO-Flüchtlingshilfswerk. Die Hilfe für die fliehenden Ukrainer dürfe nicht zulasten anderer Menschen gehen, die ebenfalls in Europa Schutz suchten, sagt sie.
Dem griechischen Migrationsminister kommt die aktuelle Fluchtbewegung aus der Ukraine auch etwas entgegen. Seit langem fordert er, dass alle EU-Staaten verpflichtet werden, Flüchtlinge aus anderen Mitgliedsstaaten aufzunehmen. Ausgerechnet Polen und Ungarn lehnten Mitarakis' Forderung bisher aber konstant ab und machten dadurch eine gemeinsame Linie unter den EU-Ländern unmöglich.
Mitarakis' Hoffnung auf Solidarität
Dass diese Flüchtlingskrise ausgerechnet sie trifft, könnte bei ihnen zu einem Umdenken führen und zur Bereitschaft, in Zukunft mehr Solidarität zu zeigen mit anderen Ländern an der EU-Aussengrenze als bisher, so Mitarakis' Hoffnung.
Würde bei der nächsten Flüchtlingskrise wieder sein Land im Vordergrund stehen, könnte Griechenland von Anfang an auf mehr Hilfe zählen und würde mit der Bewältigung der Situation nicht allein dastehen.