Wenn die Länder miteinander Handel treiben, dann schwindet auch deren Interesse an einem Krieg. Die wirtschaftlichen Schäden wären für beide zu gross, so war die vorherrschende Meinung in den letzten Jahrzehnten. Doch was bleibt übrig vom Konzept «Frieden durch Handel» jetzt, da Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt? Andreas Wirsching ist Historiker und blickt dafür ein paar Jahre zurück.
SRF News: Angesichts Russlands Invasion, wo war der Denkfehler des Westens? Wo kommt «Frieden durch Handel» an seine Grenzen?
Andreas Wirsching: Das ist auf der einen Seite nicht ganz einfach zu beantworten, auf der anderen Seite ist der Moment, als Russland kippte, allerdings klar zu datieren. Unter Boris Jelzin und in der Anfangszeit von Wladimir Putin, Präsident seit 2000, war es noch so, dass man hoffte, eine Art Modernisierungspartnerschaft mit Russland herstellen zu können, gerade auch unter dem Aspekt von Handel und Investitionen.
2007 hat die Propaganda, dass Russland durch den Westen bedroht sei, explizit begonnen.
Das kippte irgendwann nach der Jahrtausendwende. Und zwar mit der Rede Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2007. Dort kritisierte er dezidiert die sogenannten humanitären Interventionen des Westens (u.a. in Kosovo, Anm. d. Red.) und verteilte dies als aggressiven Akt. Dann hat die Propaganda, dass Russland durch den Westen – vor allem auch durch die Nato – bedroht sei, explizit begonnen. Kurz danach ging es weiter mit dem russischen Krieg gegen Georgien, 2014 mit der Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine.
Trotz der gegenseitigen Abhängigkeit – gerade im Energiesektor – hat Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet…
Man muss sogar sagen, dass das eine der Fehlspekulationen des Westens und insbesondere der deutschen Politik gewesen ist. Der Bau der Gasleitung Nord Stream 2 war ja gewissermassen der Versuch, einen Bilateralismus auf der Basis von gemeinsamen Wirtschaftsinteressen mit den Russen herzustellen. Und dieser Versuch ist brutal gescheitert.
Die internationale Weltwirtschaft ist seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine nicht mehr dieselbe.
Man muss auch hinzufügen: Trotz erheblicher Warnungen ist dieser Versuch bis zur Fertigstellung der Pipeline weitergeführt worden. Und jetzt liegt die Gasleitung durch die Ostsee brach und wird mit Sicherheit bis auf Weiteres nicht benutzt werden. Das ist eine grosse Fehlspekulation gewesen auf der Basis der Hoffnung auf eine Win-Win-Situation. Die Konsequenzen werden wir noch zu spüren bekommen.
Wie einschneidend ist diese Erfahrung, die Europa jetzt mit Russland macht? Wird diese die Globalisierung für lange Zeit prägen?
Ich glaube schon, dass diese Erfahrungen sehr einschneidend sind. Es ist immerhin der erste Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat, den wir in Europa seit 1945 erleben. Man kann den Ukrainekrieg auch nur begrenzt vergleichen mit den Jugoslawienkriegen, die veritable Bürgerkriege waren. Insofern ist der russische Angriff auf die Ukraine ein enormer Einschnitt, von dem man auch noch gar nicht weiss, wohin er wirklich führen wird.
Der russische Angriff auf die Ukraine ist ein enormer Einschnitt, von dem man nicht weiss, wohin er führen wird.
Selbst wenn – was wir hoffen – die Waffen bald schweigen in der Ukraine, wird Russland lange brauchen, bevor es wieder zu einer Reintegration in die Weltwirtschaft kommen wird. Es gibt ja Prognosen, wonach das eine Generation dauern wird nach Ende des Krieges. Aber eins ist klar: Die Welt und damit auch die internationale Weltwirtschaft ist seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine nicht mehr dieselbe wie zuvor.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.