Westliche Firmen ziehen sich aus Russland zurück – entweder freiwillig oder weil der Druck westlicher Regierungen steigt. Das zeigt Wirkung: Russland wird quasi von der Weltwirtschaft ausgeschlossen. Geschäfte russischer Unternehmen sind im Westen massiv eingeschränkt. Die Ökonomin Elisabeth Christen erklärt, welche Folgen eine wirtschaftliche Entflechtung des Westens und Russland haben könnte.
SRF News: Welche spürbaren Folgen für die Weltwirtschaft hinterlässt der Krieg bereits?
Elisabeth Christen: Die Ereignisse überstürzen sich gerade, von Tag zu Tag werden die Sanktionen umfassender. In erster Linie trifft es derzeit die russische Wirtschaft. Dies vor allem durch die Finanzsanktionen, insbesondere gegen die russische Zentralbank. Sie kann nicht mehr auf ihre Devisenbestände zurückgreifen. Zudem gibt es massive Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen und die Lieferketten zwischen Russland und westlichen Ländern.
Momentan sind die Folgen für die Weltwirtschaft aber noch überschaubar?
Zunächst handelte es sich um zielgerichtete Sanktionen, die sich gegen gewisse Gütergruppen beziehungsweise gegen Vermögenswerte von bestimmten Personen gerichtet haben. In den weiteren Schritten gibt es nun umfassende Finanzsanktionen. Sie verfolgen das Ziel, die Refinanzierung des russischen Staates zu erschweren. Diese haben auch unmittelbare Auswirkungen auf die russische Bevölkerung.
Die Effekte auf die anderen Länder, die die Sanktionen verhängt haben, sind derzeit aber noch sehr überschaubar. Das heisst aber nicht, dass die Sanktionen diese Länder nicht auch treffen. Seit 2014 und Russlands Annexion der Krim wissen wir: Auch die Länder, die Sanktionen ergreifen, tragen deren Kosten.
Die Folgen der «Scheidung» der russischen und der westlichen Wirtschaft sind noch schwer abzuschätzen. Trotzdem: Wenn man einen Ausblick wagen würde, was könnten die langfristigen Konsequenzen davon sein?
Natürlich werden sich die Handelsbeziehungen zwischen den westlichen Ländern, die diese Sanktionen mittragen, und Russland weiter abschwächen. Schon infolge der Sanktionen nach der Krim-Annexion ging die Bedeutung des russischen Marktes für die europäischen und westlichen Länder insgesamt zurück. Diese Umorientierung auf andere Exportmärkte wird sich jetzt weiter vollziehen.
Im Zuge des Konflikts kann es dazu kommen, dass sich im Energiebereich neue Chancen ergeben, insbesondere für die europäischen Länder.
Gleichzeitig hat auch Russland seine Handelspartner neu aufgestellt. Insbesondere hat es seine Fühler gegen Indien und China ausgestreckt. Moskau wird seine Handelsbeziehungen also eher in Richtung des asiatischen Marktes ausrichten und so versuchen, einen Teil der Sanktionen zu umgehen beziehungsweise abzumildern.
Welchen Herausforderungen muss sich Europa langfristig stellen im Zuge des Ukraine-Krieges?
Die EU ist vor allem was Energieimporte aus Russland betrifft sehr verwundbar. Rund 44 Prozent ihrer Gasimporte kommen aus Russland. Gleichzeitig ist die russische Wirtschaft sehr stark auf dieses ausländische Kapital angewiesen. Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind hier sehr hoch. Aber: Im Zuge des Konflikts kann es dazu kommen, dass sich im Energiebereich neue Chancen ergeben, insbesondere für die europäischen Länder. Sie setzen langfristig auf Klimaneutralität und möchten die Energiewende vollziehen. Die unerwünschte Lage könnte genutzt werden, sich unabhängiger von Energieimporten aus Russland zu machen und die Investitionen in Erneuerbare auszubauen.
Das Gespräch führte Adam Fehr.