Russland soll das Stahlwerk in Mariupol laut ukrainischen Angaben mit Phosphorbomben beschossen haben. Wie plausibel ist dieser Vorwurf? Noch fehlt eine unabhängige Bestätigung für einen russischen Phosphorbombeneinsatz. Es zirkulieren Videos in sozialen Medien. Und ukrainische Quellen erheben entsprechende Vorwürfe. Gemäss Äusserungen europäischer Experten gegenüber Nachrichtenagenturen sind die Behauptungen zumindest plausibel. Tatsache ist, dass Russland Phosphorbomben besitzt und sie schon früher im Ukrainekrieg eingesetzt hat sowie 2015 in Syrien. Auch das bisherige russische Vorgehen im Krieg gegen die Ukraine deutet nicht auf eine besondere Zurückhaltung beim Einsatz besonders brutaler Waffen hin.
Welche Wirkung haben Phosphorbomben? Phosphorbomben sind eine Form von Brandbomben. Sie enthalten Phosphor und Kautschuk. Phosphor kann sich beim Kontakt mit Sauerstoff selber entzünden. Solche Bomben verursachen zum einen schwere Brandverletzungen – die Opfer sterben dann oft langsam und qualvoll an ihren Verletzungen. Zum andern sind bereits geringste Mengen an den Dämpfen hochgiftig und häufig tödlich.
Was bringen Phosphorbomben aus militärischer Sicht? Phosphorbomben existierten bereits im Ersten Weltkrieg. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie häufig eingesetzt, von Deutschland, Grossbritannien und den USA. Die Vereinigten Staaten setzten auch im Irak-Krieg auf Phosphorbomben, was sie zunächst abstritten, später aber einräumten. Israel tat das im Libanon und später in Gaza. Russland und die Türkei setzten sie in Syrien ein. Der militärische Nutzen von Phosphorbomben ist relativ bescheiden. Häufig werden sie als eine Art grosse Nebelpetarden eingesetzt, etwa um feindliche Truppen auf ihrem Vormarsch aufzuhalten oder eigene Truppenbewegungen zu verschleiern. Weil die militärische Wirkung verglichen mit den möglichen «Kollateralschäden» für die zivile Bevölkerung eher gering ist, werden Phosphorbomben de facto primär als Terrorwaffe eingesetzt. Also nicht, um unmittelbar militärische Ziele zu erreichen, sondern um die Bevölkerung des Gegners in Angst und Schrecken zu versetzen.
Ist der Einsatz von Phosphorbomben legal? Anders als Atombomben, chemische und biologische Waffen oder als Landminen und Streubomben gibt es keinen internationalen Vertrag, der Phosphorbomben als Waffengattung generell verbietet. Entscheidend ist aber, wie solche Bomben eingesetzt werden. Sobald das Risiko besteht, dass die Zivilbevölkerung stark betroffen ist, gelten auch Phosphorbomben als illegale Waffen. Ein Zusatzprotokoll von 1977 zu den Genfer Konventionen über das humanitäre Kriegsvölkerrecht verbietet den Einsatz von Phosphorwaffen, wenn das Risiko besteht, dass sie neben militärischen Zielen auch Zivilisten treffen. Dazu kommt, dass auch laut dem Chemiewaffenverbot der Einsatz jeglicher chemischer Stoffe illegal ist, falls dabei Zivilpersonen zu Schaden kommen – und zwar, selbst wenn diese Stoffe nicht explizit als chemische Kampfstoffe gelten. Ein Beispiel: Tränen- oder Chlorgas fallen nicht unter die geächteten Kampfstoffe. Doch wenn bei deren Einsatz Menschen sterben oder schwer verletzt werden, dürfen sie ebenfalls nicht eingesetzt werden.