Mehr als 140 Länder haben sich in der jüngsten Abstimmung in der UNO-Generalversammlung hinter die Ukraine gestellt. Nur gerade sechs schlugen sich auf die Seite Russlands. Der Rückhalt für Kiew ist jedoch weniger überwältigend, als es auf den ersten Blick scheint.
Grundsätzlich gebe es unter den 193 UNO-Mitgliedern «viel Sympathie für die Ukraine, auch bei den Entwicklungs- und Schwellenländern», sagt Richard Gowan von der Denkfabrik International Crisis Group. Die Unterstützung bleibe jedoch meistens rein verbal und werde nicht durch Taten untermauert, so Gowan.
Für viele Führer aus Asien und Afrika ist der Krieg gegen die Ukraine schlicht kein zentrales Thema. Es ist nicht ihr Krieg.
Er hat mit seinem Team das Abstimmungsverhalten der Länder untersucht, deren Wortmeldungen und Vorstösse in der UNO. Ergebnis: «Für viele Führer, vor allem in Asien und Afrika, ist der Krieg gegen die Ukraine schlicht kein zentrales Thema. Es ist nicht ihr Krieg.»
Anders als der Westen sehen sie auch keinen historischen Zusammenprall von Demokratien und Autokratien. Viele von ihnen herrschen selber autokratisch; die Verteidigung der Demokratie in der Welt ist nicht ihr Anliegen.
Hauptsache, die Lage beruhigt sich schnell
Während der Westen zu den UNO-Debatten reihenweise die Aussenminister nach New York entsandte, verzichteten die Länder des globalen Südens darauf. Die meisten meldeten sich nicht einmal zu Wort.
Von jenen, die sprachen, pochten viele keineswegs auf einen bedingungslosen Rückzug Russlands. Sie erwarten vielmehr von der Ukraine teils erhebliche Zugeständnisse. Hauptsache, die Lage beruhigt sich möglichst schnell.
Tut der Westen zu wenig für einen Frieden?
Trotz des monatelangen Werbens gelang es den USA und den Europäern kaum, Entwicklungs- und Schwellenländer auf ihre Seite zu ziehen. Gerade wichtige Akteure wie Indien, Brasilien oder Südafrika sträuben sich. «Aus ihrer Sicht bemüht sich der Westen zu wenig um eine Friedenslösung», sagt Gowan.
«Ihr Vorwurf: Geht es um Konflikte etwa in Afrika, hört man aus westlichen Hauptstädten stets, es gebe einzig eine diplomatische, jedoch keine militärische Lösung. Doch jetzt lieferten dieselben Regierungen der Ukraine Waffen.»
Zu hören ist auch, UNO-Generalsekretär António Guterres solle sich stärker als Friedensvermittler einbringen. Doch der, ganz Realist, sieht derzeit keine Chancen für eine Lösung, die mit dem Völkerrecht vereinbar wäre – weil Russland das gar nicht will.
Gleichzeitig lancieren einige Staaten in der UNO Vorschläge, um den Krieg zu beenden. Gowan: «Sie sind zahlreich, aber ausnahmslos vage. Es herrscht kein Konsens unter den Ländern des Südens.»
Am meisten Aufsehen erregte der chinesische Friedensplan, der diesen Namen kaum verdient. «Das Papier repetiert lediglich bisherige chinesische Positionen», relativiert Gowan: «Wichtige Punkte zum Vorgehen, zu den Zielen, zur Zukunft der Ukraine, zu den Akteuren während eines Friedensprozesses fehlen gänzlich.»
Peking signalisiert gleichzeitig seinen Unwillen, sich als Vermittler einzubringen.
Laut Gowans Einschätzung stellten die Chinesen ihren Plan hauptsächlich zur Gesichtswahrung vor. Denn viele Staaten hatten von der Supermacht einen Friedensvorschlag erwartet. «Doch Peking signalisiert gleichzeitig seinen Unwillen, sich als Vermittler wirklich einzubringen.»
Und nachdem China im Lauf des Krieges immer mehr auf Russlands Seite gerückt ist, klingt das Bekenntnis, in der Ukraine-Frage neutral zu sein, inzwischen hohl. Als fairer Vermittler geht Peking kaum noch durch.