Die US-Geheimdienste gehen davon aus, dass sich der russische Präsident Wladimir Putin auf einen längeren Krieg in der Ukraine einstellt. Laut der Direktorin der nationalen Nachrichtendienste, Avril Haines, sei dies der wahrscheinlichste Weg, um die strategischen Interessen des Kremls in der Ukraine zu sichern.
Neben Ausrüstung, Nachschub, Truppenstärke und deren Moral ist in Kriegen auch immer der Faktor Zeit elementar. Russland hat deutlich mehr Ressourcen, spielt in der Konsequenz auch die Zeit Wladimir Putin in die Hände?
Druck, Sanktionen und Abgeschiedenheit
Das sieht Oliver Thränert differenzierter: «Die Zeit muss nicht unbedingt auf Putins Seite sein», sagt der Leiter des Thinktanks für sicherheitspolitische Studien an der ETH Zürich. Im Moment sehe es so aus, als ob er Russland im Griff habe.
Aber es könne sein, dass die innenpolitische Unterstützung in dem Masse nachlässt, in dem Putin weiterhin sehr viele Menschen in diesem Krieg opfert.
Das wird die russische Wirtschaft noch zu spüren bekommen.
Zudem wirken die internationalen Sanktionen gegen Russland nicht kurzfristig, sondern mittel- bis langfristig. Es gebe einen grossen Abfluss an hoch qualifiziertem russischen Personal, sagt Thränert und fügt an: «Das wird die russische Wirtschaft noch zu spüren bekommen.»
Des Weiteren ist Russland vollkommen von der technologischen Zusammenarbeit mit den entwickelten Industrieländern abgeschnitten. Auch dies werde längerfristig «sehr viele negative Konsequenzen» nach sich ziehen.
Putins Spiel auf Zeit
So könnte Russland etwa in eine schwere wirtschaftliche Krise geraten. Dennoch scheint der russische Präsident auf Zeit zu spielen. Warum tut er das?
«Putin ist militärisch gar nicht in der Lage, kurzfristig diesen Krieg für sich zu gewinnen», sagt Thränert. Er führe nicht einfach so Krieg, sondern mit dem Ziel, «die Ukraine niederzuwerfen und das sowjetische Imperium wiederzuerrichten». «Wenn er das schneller könnte, würde er es wahrscheinlich auch schneller machen», betont der Sicherheitsexperte.
Renten, Gesundheitssystem und US-Präsidentschaft
In die Hände spielt Putin die Zeit insofern, als die westliche Unterstützung nachlassen könnte. Einerseits, weil in Westeuropa insbesondere Diskussionen aufkommen, wo andere Prioritäten wie zum Beispiel das Renten- oder Gesundheitssystem gesetzt werden könnten. «Ausserdem könnte der Präsidentschaftswahlkampf in den USA, der bald beginnt, dazu führen, dass Stimmen lauter werden, welche die Hilfe für die Ukraine infrage stellen», so der Sicherheitsexperte.
Ohne westliche Hilfe und den Verteidigungswillen wäre die Ukraine nicht in der Lage, diesen Krieg zu führen. Wer den stärkeren Willen hat, hält in einem längeren Krieg durch – und hat die Chance, diesen Krieg dann auch zu gewinnen, wie Oliver Thränert betont.