Zwei Tage nach Beginn der russischen Invasion wählt Michailo Fedorow die Nummer von Elon Musk. Das Gesprächsthema zwischen dem ukrainischen Vizepremierminister und dem Twitter-Chef: Starlink, ein weltweit betriebenes Satellitennetzwerk des US-Raumfahrtunternehmens SpaceX, dessen Inhaber ebenfalls Elon Musk ist.
Damals legten Fedorow, der auch als ukrainischer Digitalminister amtiert, und der Multimilliardär Musk den Grundstein für eine digitale Infrastruktur, welche für die Ukraine in diesem Krieg inzwischen entscheidend geworden ist: die Nutzung von Starlink.
«Das Rückgrat der ukrainischen Armee»
Auch wenn sich die Fronten in den vergangenen Wochen konsolidiert haben und vor allem der russischen Armee schon länger keine grösseren Gebietsgewinne mehr gelungen sind: Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland gleicht nach wie vor dem Kampf David gegen Goliath. Dort das riesige russische Reich, das mit grossflächigen, aber unpräzisen Artilleriebeschüssen die Ukraine in Schutt und Asche legt. Hier die vom Westen unterstützte Ukraine, welche das russische Waffenarsenal quantitativ nicht spiegeln kann und daher auf Effizienz setzen muss.
Und genau hier wird offensichtlich, weshalb Starlink für die Ukraine inzwischen so entscheidend geworden ist. Denn das Satellitennetzwerk ermöglicht genau diese Effizienz, welche Kiew braucht, um über die Rolle als David hinauszuwachsen. Oder wie es Stefan Soesanto formuliert: «Starlink ist das Rückgrat der ukrainischen Armee.»
Soesanto forscht am Center for Security Studies an der ETH Zürich über Cybersicherheit. Zuletzt hat er unter anderem einen Forschungsaufsatz publiziert, der sich mit der Cyberabwehr der Ukraine beschäftigt. Auf die Frage, weshalb Starlink derart wichtig ist, muss er etwas ausholen: «Die Ukraine arbeitet mit dem Programm Delta. Dieses ermöglicht der Armee, in Echtzeit russische Truppenbewegungen zu verfolgen.» Die Ansicht sei ähnlich wie diejenige auf Google Maps, erklärt Soesanto, jeder ukrainische Kommandant habe Zugriff auf das System.
Soweit die ukrainische Innovation. Doch Delta, und hier macht Soesanto einen Punkt, könne für sich alleine seine Funktionen nicht ausspielen; denn die «Kommunikation läuft über Starlink», erklärt er. Beobachten also ukrainische Befehlshaber auf ihren Tablets die russischen Truppenbewegungen und stützen darauf ihre strategischen Entscheidungen, sind sie auf Starlink angewiesen.
Doch damit nicht genug, denn Starlink nimmt auch bei Drohnenattacken eine elementare Rolle ein. Soesanto sagt: «Die Ukraine braucht Starlink, um ihre Drohnen zu kontrollieren.» Weil ausserdem die Kameras in den Städten mit Starlink verbunden werden können, sei die Technologie auch bei Strassengefechten, wie sie beispielsweise gerade in der umkämpften Stadt Bachmut stattfinden, ein entscheidender Faktor.
Laut Elon Musk sind in der Ukraine etwa 25'000 Starlinkterminals im Einsatz. Die Wichtigkeit der Technologie für die ukrainische Verteidigung kann, wie Soesanto ausgeführt hat, nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Krebst Elon Musk zurück?
Und doch ist es da, das Bild des Exzentrikers Elon Musk, der bereits Twitter umgekrempelt hat und in seinem Führungsstil zuweilen einen erratischen Eindruck macht. Auch bei der Nutzung von Starlink in der Ukraine zeigt Musk unberechenbare Tendenzen. So machte SpaceX-Präsidentin Gwynne Shotwell zuletzt Andeutungen, den Dienst zurückzufahren: «Starlink war nie dazu gedacht, als Waffe eingesetzt zu werden.»
Starlink war nie dazu gedacht, als Waffe eingesetzt zu werden.
Shotwell legt nach: «Die Ukrainer haben den Dienst auf eine Art und Weise genutzt, die unbeabsichtigt und nicht Teil einer Vereinbarung war.» So sei es zwar in Ordnung, wenn das Militär die Technologie für die Kommunikation brauche, aber es sei «nie unsere Absicht gewesen, dass sie für offensive Zwecke eingesetzt wird», sagt Shotwell.
Weil die Ukraine Starlink für Drohnenangriffe braucht, wirft SpaceX der Regierung von Wolodimir Selenski also Vertragsbruch vor. Für Cyberexperte Soesanto ist dies aber vor allem ein Anzeichen dafür, dass die Ukraine die SpaceX-Verantwortlichen auf dem falschen Fuss erwischt hat: «Musk hat den Erfindergeist der Ukraine unterschätzt.»
Bei neueren Technologien wie Starlink könne man nämlich noch schlecht abschätzen, wofür sie alles gebraucht werden können. Bei Panzern beispielsweise – die ersten kamen im Ersten Weltkrieg zum Einsatz – weiss man schon viel genauer über ihren Nutzungsspielraum Bescheid.
Doch weshalb überhaupt dieses Tauziehen? Wieso stellt die Technologie nicht das Verteidigungsministerium der USA zur Verfügung? Oder die Nato? «Weil sie es nicht können», sagt Soesanto. Denn Regierungen delegieren Leistungen oft an Private. Vor allem in der Rüstungsindustrie ist dies häufig der Fall. Nicht Deutschland stellt den Leopard-2-Kampfpanzer her, sondern die Firma Krauss-Maffei Wegmann. Nicht das Pentagon produziert das Patriot-Flugabwehrsystem, sondern Raytheon Technologies.
Tauschhandel zwischen Staat und Privatwirtschaft
An und für sich sei dies kein neues Phänomen, sagt Stefanie Walter. Die Professorin für politische Ökonomie an der Universität Zürich erklärt: «Der Staat delegiert häufig Aufgabenbereiche an Private, weil diese gewisse Leistungen effizienter produzieren können.» Dies senke die Kosten für den Staat.
Wenn SpaceX in der Ukraine seine Dienste nicht mehr anbieten möchte, entscheidet dies keine demokratische Regierung, sondern ein privater Akteur.
Es gibt aber eine Kehrseite; denn der Staat gibt so gleichzeitig Kontrolle ab. «Wenn SpaceX in der Ukraine seine Dienste nicht mehr anbieten möchte, entscheidet dies keine demokratische Regierung, sondern ein privater Akteur», erklärt Walter. Im vorliegenden Fall sticht vor allem ins Auge, dass SpaceX eine Monopolstellung einnimmt. «Das gibt Elon Musk eine grosse Verhandlungsmacht», sagt Walter. Auch sehe es derzeit nicht so aus, als ob in absehbarer Zeit ein alternatives Produkt auf den Markt kommen dürfte, fügt ETH-Cyberexperte Soesanto hinzu.
Zum staatlichen Kontrollverlust kommt hinzu, dass Elon Musk die kriegsspezifischen Herausforderungen schlicht unterschätzt zu haben scheint. Soesanto sagt: «Musk wollte der Welt zeigen, wozu seine Technologie fähig ist.» Doch je länger er in den Krieg involviert ist, desto mehr wird ihm bewusst, dass kriegsrechtliche, geopolitische oder militärstrategische Fragen für ihn deutlich an Relevanz gewonnen haben. «Ich denke nicht, dass er dies bedacht hat», schätzt Soesanto ein.
Bündnisfall «nicht ausgeschlossen»
Ein Beispiel: Das auf internationale bewaffnete Konflikte wie den Krieg in der Ukraine anwendbare humanitäre Völkerrecht regelt, was ein legitimes militärisches Ziel ist. Interpretiert man den entsprechenden Gesetzesartikel, wird klar: Auch die Infrastruktur von Starlink fällt nun darunter. «Russland kann die Infrastruktur angreifen, egal ob mit Artillerie oder im Cyberraum», sagt auch der Völkerrechtsprofessor Marco Sassòli von der Universität Genf.
Russland kann die Infrastruktur angreifen, egal ob mit Artillerie oder im Cyberraum.
Für die Ukraine würde das bedeuten, dass sie in ihrer Kriegsführung potenziell stark beeinträchtigt würde. Doch weitreichendere Folgen wären denkbar, sagt Stefan Soesanto: «Gelingt Russland ein Cyberangriff auf Starlink, dürfte sich wohl bald die US-Regierung einschalten.»
Die Administration von US-Präsident Joe Biden, welche zusammen mit Polen den Grossteil der Kosten der Starlink-Satellitenempfänger übernommen hat, würde dann im Wesentlichen entscheiden, ob dies ein Angriff auf die USA darstellt. «Ich will betonen: Wir bewegen uns hier auf Neuland. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass dann Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrags tangiert wäre», führt Soesanto aus. Der Bündnisfall, also dass die Nato Kriegspartei würde, sei in diesem Fall also ein Szenario, das nicht ausgeschlossen werden könne.
Das Gespräch zwischen dem ukrainischen Digitalminister Michailo Fedorow und Elon Musk ist inzwischen ein Jahr her. Gegenüber der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» betont auch Fedorow die Wichtigkeit der Infrastruktur. Er nennt sie einen «Gamechanger», wenn auch der Krieg in der Ukraine alles andere als ein Spiel, sondern tödlicher Ernst ist. Der Digitalminister sagt: «Ich glaube an Elon. Er hat uns versprochen, dass wir keine Probleme haben werden.»