Was passiert derzeit in den USA? Die Hilfe für die Ukraine scheint derzeit infrage gestellt. Bei der Verabschiedung des Überbrückungsbudgets im US-Kongress wurde die Unterstützung für die Ukraine kurzfristig gestrichen. Die USA sind derzeit stark mit sich selber beschäftigt. US-Präsident Joe Biden sah sich gezwungen, die wichtigsten Verbündeten zu beruhigen und eine Fortsetzung der Ukraine-Hilfe zuzusichern.
Wie sind die Reaktionen in der Ukraine? «Die Spitzenleute der ukrainischen Führung halten sich eher zurück mit Kommentaren», berichtet David Nauer, Auslandredaktor von SRF. «Für die Ukraine wäre es auch nicht hilfreich, wenn sich das offizielle Kiew in den innenpolitischen Streit in den USA einmischen würde.» Präsident Wolodimir Selenski und seiner Regierung sei aber sehr wohl bewusst, dass die US-Waffenhilfe zumindest infrage gestellt sei.
Selenski erklärte am Dienstagabend, dass er in den kommenden Wochen mit den Verbündeten darauf hinarbeiten wolle, dass die Ukraine weiter Waffen und Munition bekommt. «Zumindest nach aussen hin reagiert die ukrainische Regierung also nüchtern», schätzt Nauer.
Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung? Die vordergründig nüchterne Einschätzung der Regierung teilt die Bevölkerung in der Ukraine nicht. Nauer konnte mit Menschen in Kiew sprechen, die sich besorgt über die Geschehnisse in Washington zeigen. «Sie fürchten, dass die USA oder auch die Europäer kriegsmüde werden und die Waffenlieferungen an die Ukraine drosseln könnten.»
Wenn sich bei den US-Präsidentschaftswahlen 2024 Donald Trump durchsetzen sollte, könnte die US-Unterstützung für die Ukraine massiv zurückgehen.
Von Panik unter seinen Kontakten in Kiew will Nauer aber nicht sprechen. Denn US-Präsident Biden dürfte die Ukraine kaum fallen lassen. Wie es nach den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr aussieht, ist jedoch ungewiss. Entsprechend angespannt blickten die Menschen in Kiew dem 5. November 2024 entgegen. «Denn würde sich dort zum Beispiel der Republikaner Donald Trump durchsetzen, könnte die US-Unterstützung für die Ukraine massiv zurückgehen», sagt Nauer.
Wie steht es um die Unterstützung der Europäer? Kritische Töne gegenüber der Unterstützung für die Ukraine kamen zuletzt auch aus Polen und der Slowakei. In der Slowakei wurde am Wochenende mit dem Linkspopulisten Robert Fico ein erklärter Gegner der Militärhilfe für die Ukraine zum Premierminister gewählt. «Auch diese Ereignisse werden in Kiew als dunkle Wolken gesehen, die am Horizont aufziehen», so Nauer.
Auch, weil die ukrainische Führung den Krieg oft als Krieg Russlands gegen die freie Welt darstellt. In dieser Lesart kämpft die Ukraine stellvertretend für den Westen – dadurch legitimiert sich dessen Hilfe in Form von Geld und Waffen. «Nun gibt es aber mehr und mehr Leute wie in Polen und in der Slowakei, die sagen, dass es nicht ihr Krieg, sondern derjenige der Ukraine sei», sagt Nauer. «Diese Tendenz beunruhigt die Menschen in der Ukraine.»
Welche Folgen hätte ein Zurückfahren der Waffenhilfe? Die Ukraine ist weitgehend abhängig von Waffen- und Munitionslieferung aus dem Westen. Unmittelbar gefährdet ist der Nachschub derzeit aber nicht. Gleichzeitig reichen diese Waffen laut Nauer aber nicht aus, um die russischen Linien zu durchbrechen und grosse Gebiete zu befreien. «Sollte die westliche Waffenhilfe nun mittel- bis langfristig abnehmen, sieht es nicht gut aus für die Ukraine.» Zumal sich Russland für einen langen Krieg rüste und bereit sei, grosse Ressourcen zu investieren.