Am 24. Februar, vor einem Monat, stand Benno Zogg, Forscher zu Sicherheitspolitik und Osteuropa am Center for Security Studies an der ETH Zürich, bereits im «10vor10»-Studio und sprach über den Anfang eines Krieges in Europa. Weder Putin noch Wissenschaftler wie Zogg waren von derart zähem Widerstand der Ukrainer ausgegangen. Der Experte blickt nun zurück auf einen Monat Krieg.
SRF News: Hat Putin den ukrainischen Widerstand unterschätzt?
Benno Zogg: Tatsächlich ist der Krieg aus russischer Sicht harziger verlaufen als gedacht. Zu Beginn ist Russland sehr leicht in den Krieg hineingegangen, nur mit einem Teil der mobilisierten Kräfte. Sehr schnell haben die Russen die Grenzen der eigenen Fähigkeiten aufgezeigt; Luftschläge waren nur begrenzt, Logistikprobleme kamen auf. Deshalb kam der Vormarsch auf die Hauptstadt Kiew, aber auch auf Gebiete im Süden und Osten nur langsam voran. Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass die ukrainische Kampfmoral enorm hoch war, auf der russischen Seite eher dürftig. Die Truppen waren gar nicht darauf vorbereitet.
In diesem Konflikt sehen wir, dass Menschen mit wenig Vorbereitung und eventuell auch wenig Vertrauen in die Vorgesetzten auf russischer Seite kämpfen.
Sie sprechen die Moral an, die psychologische Seite. Wie wichtig ist diese in diesem Krieg?
Enorm wichtig. Ausrüstung und Training sind das eine, ohne den Kampfeswillen aber – dass man das Gefühl hat, für etwas Wichtiges und Richtiges zu kämpfen und dabei geeint ist – kann man sich einen Krieg kaum vorstellen. In diesem Konflikt sehen wir, dass Menschen mit wenig Vorbereitung und eventuell auch wenig Vertrauen in die Vorgesetzten auf russischer Seite kämpfen. Auf vielen Bilder hat man gesehen, dass das Material zurückgelassen wird und die Menschen weglaufen. Auf der anderen Seite sieht man eine geeinte Ukraine. Man kämpft da für das Land und hat mit Selenski einen Anführer, welcher die Menschen stärkt. Hier ist also ein deutlicher Kontrast zu beobachten.
Man geht davon aus, dass bereits viele russische Soldaten ums Leben gekommen sind. Wie viel Nachschub hat die russische Armee noch?
Die ganzen mobilisierten Truppen, welche damals an die Grenze verlegt worden sind, sind nun in der Ukraine im Kampf. Eventuell ist ein Viertel bis zu einem Drittel bereits kampfunfähig; also verwundet, getötet oder das Material wurde zurückgelassen.
Jetzt Wehrpflichtige zu rekrutieren oder Menschen mit veraltetem Material ins Feld schicken, welche nicht ausgebildet sind, wäre zum Teil möglich, aber nicht einfach.
Theoretisch hätte die russische Armee noch enorme, weitere Kräfte, doch diese stehen im ganzen Land verteilt, an der Grenze zu anderen Ländern. Jetzt Wehrpflichtige zu rekrutieren oder Menschen mit veraltetem Material ins Feld schicken, welche nicht ausgebildet sind, wäre zum Teil möglich, aber nicht einfach. Die russische Armee hat es auch nach einem Monat nicht geschafft, die Versorgung der Truppen in der Ukraine zu gewährleisten.
Das Gespräch führte Bigna Silberschmidt.