Die drei Väter Lior, Eyal und Dror eint das gleiche Schicksal: Ihre Töchter sind beim Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 getötet worden. Sie waren als Späherinnen der israelischen Armee nahe dem Grenzzaun zu Gaza im Einsatz. Tag und Nacht überwachten sie mit Kameras das Grenzgebiet und meldeten verdächtige Aktivitäten.
«Grosses Mass an Nachlässigkeit»
Nun erheben die Väter im israelischen Fernsehsender «Kan 11» schwere Vorwürfe. Schon seit längerem hätten ihre Töchter verdächtige Aktivitäten beobachtet – aber niemand habe reagiert. «Meine Tochter sagte: Wir sehen Leute, die nicht hierhergehören», erzählt Dror Ashram, Vater der getöteten Shai Ashram. «Diese Leute sitzen da, mit etwas, das wie Landkarten aussieht. Sie machen Skizzen.»
Fernsehjournalist Moav Vardi hat mit den Hinterbliebenen der Späherinnen gesprochen. Er sagt, in der Armee habe ein Gefühl der Überlegenheit über die Hamas vorgeherrscht. Auch deshalb seien die Warnungen der jungen Frauen nicht ernst genommen worden. «Ich denke, dass ein grosses Mass an Nachlässigkeit dazu beigetragen hat, dass es zum 7. Oktober gekommen ist. Denn niemand wollte die Warnungen hören.»
«Scheitern bis zum Ministerpräsidenten»
Auch aus Ägypten gibt es Berichte, wonach man Israel vor dem 7. Oktober gewarnt habe. Die israelische Regierung bestreitet das. Und laut einer Recherche der «New York Times» wusste Israel von den Hamas-Angriffsplänen schon seit über einem Jahr. Die Zeitung konnte ein rund 40-seitiges Dokument mit dem Code-Namen «Jericho Wall» einsehen, in dem die Pläne der Hamas Punkt für Punkt beschrieben waren.
Doch israelische Experten waren laut der «New York Times» überzeugt, dass dieser Plan die Fähigkeiten der Hamas übersteigen würde – eine Fehleinschätzung. «Das Scheitern reicht von den Brigadekommandanten bis zum Armeechef», sagt Fernsehjournalist Moav Vardi. «Es geht aber noch weiter bis zum Verteidigungsminister und zum Ministerpräsidenten.»
Untersuchung ja, aber nicht sofort
Die israelische Armee schreibt auf Anfrage von SRF, dass Fragen zur Verantwortung erst untersucht werden sollen, wenn die Bedrohung durch die Terrororganisation Hamas eliminiert sei. Auch Ministerpräsident Netanjahu hat sich in diese Richtung geäussert: «Wir werden umfassend untersuchen, was an der Südgrenze zu Gaza passiert ist. Jeder wird sich den Fragen stellen müssen, auch ich. Aber das wird nach dem Krieg passieren.»
Fernsehjournalist Moav Vardi zeigt Verständnis dafür, dass die Faktoren, die zum 7. Oktober geführt haben, wegen des laufenden Kriegs nicht sofort untersucht werden können. Er mahnt aber auch: «Die israelische Bevölkerung wird nicht tolerieren, wenn es länger dauert, zum Beispiel ein Jahr, bis die Untersuchung beginnt.»
Der 7. Oktober hat in Israel alles verändert. Verantwortlich für das blutige Massaker ist klar die Terrororganisation Hamas. Die Frage, ob der Angriff hätte verhindert werden können, wenn Hinweise ernster genommen worden wären, wird Israel noch lange beschäftigen.