Israel hat am Sonntagabend die Stadt Rafah im Gazastreifen aus der Luft angegriffen. Zuvor hatte die Hamas zum ersten Mal seit mehreren Monaten den Grossraum Tel Aviv wieder mit Raketen beschossen. Und erst am Freitag hatte das oberste UNO-Gericht Israel aufgefordert, seine Offensive in Rafah zu stoppen. SRF-Auslandredaktorin Susanne Brunner zu den dringlichsten Fragen.
Die Hamas hat Tel Aviv aus der Luft angegriffen. Was ist bisher bekannt?
Die Hamas hat gestern acht Raketen auf den Grossraum Tel Aviv abgefeuert, und zwar aus Rafah, genau von dort, wo die israelische Armee seit Tagen angreift. Zwei Frauen wurden nach Angaben von israelischen Spitälern verletzt. Die Botschaft der Hamas: Nach bald acht Monaten pausenloser Bombardierung und Kämpfen habt ihr uns nicht geschlagen. Dass sie Israel mit diesen Raketen auf Tel Aviv auch die Rechtfertigung für einen Grossangriff auf Rafah liefert, ist der Hamas offensichtlich egal. Und was besonders gefährlich und auch tragisch ist: Die Bevölkerung von Gaza hat schon alles verloren. Sie hat nichts mehr zu verlieren und hat keine Perspektive.
Auch Israel hat erneut in Rafah angegriffen. Wie rechtfertigt dies die israelische Regierung?
Mit dem Recht auf Selbstverteidigung. Israel wurde am 7. Oktober brutal von der Hamas angegriffen. Deshalb führt Israel den Krieg zur Auslöschung der Hamas in Gaza, so die Regierung und die Armeeführung. In den letzten Monaten gab es international immer mehr Kritik an Israels Kriegsführung. Zum Angriff auf das Zeltlager für Flüchtlinge in Rafah sagt die israelische Armeeführung, dort hätten sich Terroristen befunden, und der Angriff habe unter Beachtung internationalen Rechts stattgefunden.
Wie interpretieren Sie diese neue Eskalation nach dem Urteil des obersten UNO-Gerichts?
Der Internationale Gerichtshof ist im Vergleich zu den Problemen innerhalb Israels fast irrelevant. Und die Hamas hält sich eh nicht an internationales Völkerrecht. Die Hamas hat nichts mehr zu verlieren. In den letzten Tagen hat man die Leichen toter Geiseln gefunden. Der Sohn von Benjamin Netanjahus, dem israelischen Premierminister, hat am Wochenende ein Video gepostet, in dem ein Reservesoldat mit Meuterei drohte, sollte Israel den Angriff auf Rafah abblasen oder gar die Kontrolle über den Gazastreifen an eine palästinensische Behörde übergeben. Zwar ist einiges in diesem Video inzwischen als Fake entlarvt worden, aber Netanjahu steht auch von rechts unter Druck.
Heisst das, das Urteil hat seine Wirkung in Israel verfehlt?
Ja, auch weil das Urteil unterschiedlich interpretiert wird. Für die einen bedeutet es, Israel müsse seinen Angriff auf Rafah sofort stoppen. Für andere bedeutet es einfach, mehr humanitäre Hilfe zu liefern und die Zivilbevölkerung besser zu schützen. Israel sagt, es tue beides.