Die Polit-Aktivistin Najwa kommt aus Darayya, einem Vorort von Damaskus. Der Ort war bekannt für seine Protestkundgebungen. Najwa hat Mann und Sohn seit damals nicht mehr gesehen. «Mit der ersten Demonstrationswelle vor bald sechs Jahren wurden sie verhaftet», sagt sie, die jetzt in Beirut lebt.
Bombardiert und ausgehungert
Darayya ereilte diesen Sommer das gleiche Schicksal, welches die syrischen Regierungskräfte nun auch für die Rebellengebiete in Aleppo vorsehen. Auch die Vorstadt von Damaskus wurde bombardiert und ausgehungert – so lange, bis die islamistischen Rebellen, die sich dort zuletzt noch verschanzt hatten, keine Alternative mehr sahen, als aufzugeben.
Die Aufständischen wurden in die südwestlich von Aleppo gelegene Provinz Idlib entlassen. Dort befindet sich das grösste zusammenhängende Gebiet, in dem die syrischen Rebellen noch die Kontrolle haben. Darayya dagegen sei heute eine militärische Sperrzone, sagt Najwa.
Assad kontrolliert wichtigste Gebiete
Zwar habe das Assad-Regime noch nicht das ganze Land zurückerobert – aber sehr wohl die wichtigsten Städte, räumt die AktivistIn ein. Assad habe inzwischen den grösseren Teil des sogenannt nützlichen Syriens wieder unter Kontrolle. So wird manchmal das bevölkerungsreiche Gebiet abseits der Wüste bezeichnet.
Im Osten des Landes hält die Dschihadistenmiliz «Islamischer Staat» noch immer weite Landstriche, ja sie erzielte erst in den vergangenen Tagen einen neuen propagandistischen Coup, indem sie die Wüstenstadt Palmyra zurückeroberte.
Die Aktivistin Najwa betrachtet den IS allerdings nicht als Teil des Aufstandes gegen Assad. Sie unterstellt dem Regime sogar, es habe den Aufstieg des IS gezielt begünstigt um die gesamte syrische Rebellion in die Nähe dieser Fanatiker rücken und so zu schwächen.
Vom Ausland vereinnahmte Rebellen
Auch der Anwalt Ibrahim ist ein Gegner des Assad-Regimes. Er verteidigte politische Häftlinge in Syrien, doch inzwischen lebt auch Ibrahim in Libanon im Exil. Assad werde mit Russland und Iran von mächtigen Verbündeten unterstützt, stellt er fest. «Doch gleichzeitig fand die Anti-Aassad-Front in mehr als fünf Jahren nicht im Ansatz zu einer Einheit», so Ibrahim weiter.
Der Anwalt räumt die Schwäche ein und argumentiert mit der fehlenden Erfahrung: Im letzten halben Jahrhundert sei in Syrien jegliche Kritik am Assad-Regime verboten gewesen. Najwa wirft ein, dass sich die Anti-Assad-Kräfte auch von ausländischen Sponsoren hätten vereinnahmen lassen. «Doch diese verfolgten ihre eigenen, regionalstrategischen Interessen.»
Russland und Iran ziehen die Fäden in Syrien.
Tatsächlich ist der Aufstand in Syrien stark konfessionell unterlegt. Sunnitische Regionalmächte wie Saudi-Arabien, die Türkei oder Katar ziehen auf Rebellenseite die Fäden. Viele Rebellen sind Islamisten. Sie haben nie bewiesen, dass sie für einen grossen Teil des Landes sprechen könnten. Dennoch «die meisten Islamisten in der Rebellion sind Söhne Syriens», erwidert Ibrahim. Sie seien sehr wohl dem Kampf um Freiheit in Syrien verpflichtet.
Heute fühlen sich die Aufständischen alleingelassen, selbst von den sogenannten Freunden Syriens, zu denen auch führende Staaten des Westens gehören. Diese hätten vom Sturz Assads gesprochen. «Doch das war nur Gerede», sagt Ibrahim. Sogar die Türkei scheint sich neu zu positionieren. Deren Truppen stehen zwar im Norden Syriens, aber sie sind mehr damit beschäftigt, dort kurdische Ambitionen kleinzuhalten, als Assad zu bedrängen.
Kriegsmüdigkeit stärkt Assads Position
Syrien ist kriegsmüde, daran bestehen kaum Zweifel. Viele wünschen sich längst nur noch, dass die Zerstörung und das Leid ein Ende haben mögen – egal wie. Das stärkt Assads Position.
Wie sich der Aufstand weiter entwickelt, ob er zu einem Guerillakampf mit Kommandoaktionen aus dem Untergrund gegen das repressive System wird, ist offen. Denkbar sei das durchaus, sagt Ibrahim. Sicher sei einzig: «Syrien ist nun ein besetztes Land. Russland und Iran, Assads Verbündete, ziehen die Fäden.» Dies bleibe vorerst so; selbst wenn es Assad gelingen sollte, den grössten Teil des Landes zurückzuerobern.