Kurz vor neuen Friedensverhandlungen unter Leitung der UNO droht die Lage in Libyen zu eskalieren. Verantwortlich dafür ist der unberechenbare General Chalifa Haftar, wie die Libyen-Kennerin und Journalistin Astrid Frefel ausführt.
SRF News: Steht in Libyen eine militärische Eskalation bevor?
Astrid Frefel: Es stehen tatsächlich alle Zeichen auf Eskalation. Die Lage ist sehr unübersichtlich und im Fluss. Viele der im Land aktiven Milizen ändern ständig ihre Loyalität – je nachdem, welcher Wind im Moment weht und wer sie gerade am besten bezahlt.
Ist General Haftar nicht an einer politischen Lösung interessiert?
Das weiss man nicht so genau. Vielleicht unternimmt er den aktuellen Vorstoss auf Tripolis, um die politische Lösung, die in den nächsten Tagen für das Land gefunden werden soll, zu hintertreiben.
Wurde die Stärke Haftars bislang unterschätzt?
Mit seinen Erfolgen im Süden Libyens sind auch Milizen im Westen des Landes auf seine Seite umgeschwenkt. Deshalb macht es jetzt den Anschein, als ob er einen schnellen militärischen Erfolg feiern könnte.
Kampferprobte Milizen aus Misrata sind auf dem Weg nach Tripolis.
Allerdings gibt es im Westen auch Milizen, die Haftars Truppen bekämpfen werden. Dazu gehören insbesondere die kampferprobten Verbände aus Misrata. Teile von ihnen befinden sich derzeit auf dem Weg nach Tripolis, um die dortigen Milizen gegen Haftar zu verstärken. Unklar ist auch, ob Haftar grünes Licht von arabischen Unterstützern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Ägyptens erhalten hat. Das zumindest vermuten seine Gegner in Tripolis.
Laut UNO-Generalsekretär Antonio Guterres – er befindet sich derzeit im Bürgerkriegsland – gibt es keine militärische Lösung für Libyen. Wie realistisch ist der diplomatische Weg?
Tausende Libyer haben sich in den letzten Monaten mit Konferenzen im ganzen Land am politischen Dialog beteiligt. Dabei kam klar zum Ausdruck, dass die Milizen von der Regierung in kontrollierte Sicherheitsstrukturen eingebunden werden müssen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung will eine politische Lösung. Nach den schwierigen Jahren des Bürgerkriegs will sie endlich ein normales Leben führen, in dem alle Libyer vom Reichtum des Landes profitieren könnten.
Es geht immer um Macht, Einfluss und Geld.
Welche Chance hat unter diesen Vorzeichen die nationale Konferenz zur Suche nach einer Lösung aus der Krise?
Sie ist letztlich wohl der Grund, warum Haftar jetzt handeln musste. Denn wenn es gelingt, die Konferenz erfolgreich durchzuführen, hat Haftar keine Rechtfertigung mehr, auf militärische Aktionen zu setzen.
In Libyen herrscht seit dem Sturz von Machthaber Gaddafi im Jahr 2011 Bürgerkriegs-Chaos. Warum ist trotz aller internationalen Bemühungen keine Lösung in Sicht?
Die Milizen sind inzwischen über das ganze Land verstreut. Das Ganze ist ein äusserst kompliziert verflochtenes Netz mit unterschiedlichen Loyalitäten und Interessen. Immer geht es dabei um Macht, Einfluss und Geld. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist bislang nicht gelungen. Die für nächste Woche anberaumte Konferenz bildete einen kleinen Hoffnungsschimmer, der mit Haftars Offensive jetzt wieder zunichte gemacht werden könnte.
Das Gespräch führte Claudia Weber.