In Libyen hat General Chalifa Haftar, Gegenspieler des international anerkannten Ministerpräsidenten Fayez Sarradsch, grosse Gebiete im Süden des Landes erobert – beinahe ohne Gewalt. Journalistin Astrid Frefel über seine Strategie und seine Chancen, sich in Tripolis durchzusetzen.
SRF News: Mit welcher Strategie ist es Haftar gelungen, die Kontrolle im Süden Libyens zu übernehmen?
Astrid Frefel: Gebietsgewinne erreicht er immer mit demselben Muster: Seine Truppen verbünden sich mit bewaffneten lokalen Kräften. Dabei hat er in dieser ethnisch heterogenen Region sogar rivalisierende Gruppen gegeneinander ausgespielt.
Sein Erfolg ist auch darauf zurückzuführen, dass Verbände, die loyal zur Einheitsregierung in Tripolis stehen, sich kampflos zurückgezogen haben. Er hat nur wenig Gewalt anwenden müssen. Haftar hat das erklärte Ziel, bis nach Tripolis vorzustossen.
Wie stabil ist seine Machtbasis?
Haftars Strategie, mit den lokalen Kräften zusammenzuarbeiten, ist gleichzeitig auch seine Schwäche. Viele von ihnen wechseln ihre Loyalität je nach Opportunität und der besten Bezahlung.
Ist es denkbar, dass sich Haftar auch in Tripolis durchsetzen könnte?
Beobachter gehen davon aus, dass sein nächstes Ziel die Stadt Sirte sein könnte. Deren bewaffnete Verbände gehören zum Einflussbereich der Sarradsch-Regierung. In dieser Stadt hat es in den letzten Wochen Proteste und Kritik an der Zentralregierung gegeben.
Es gibt immer noch offenen Widerstand gegen Haftars Feldzug.
Sollte Haftar hier keinen Widerstand erleben, würde das bedeuten, dass es Absprachen zwischen ihm und Sarradsch über einen friedlichen Einzug in Tripolis geben könnte. Es gibt allerdings immer noch offenen Widerstand gegen Haftars Feldzug. Vor allem die mächtigen Milizen in Misrata halten Haftar für einen Putschisten.
Es gibt Pläne einer nationalen Konferenz. Ist da schon etwas konkret?
Auf Initiative der UN-Mission wurde in den letzten Monaten eine sehr breit angelegte Konsultation in der Bevölkerung mit über 70 Treffen im ganzen Land durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Menschen diese Spaltung des Landes überwunden sehen wollen.
Der Grossteil der Libyer hat kein Verständnis, dass eines der reichsten Länder der Welt auf ausländische Hilfe angewiesen ist.
Sie verlangen Sicherheitskräfte, die sich nicht in die Politik einmischen und sie wollen, dass die Ressourcen des Landes durch einen dezentralen Staat möglichst gerecht verteilt werden. Der Grossteil der Libyer hat kein Verständnis, dass eines der reichsten Länder der Welt auf ausländische Hilfe angewiesen ist.
Im Dezember sollen Wahlen stattfinden. Ist es denkbar, dass sich Haftar nun, da er so viel mehr Macht hat, auf solche Wahlen einlässt?
Haftar ist ein Taktiker, der seine wahren Absichten oft verschleiert. Klar ist, dass die wichtigsten internationalen Akteure auf Wahlen drängen, insbesondere Frankreich, das an seiner Seite steht. Er kann sich einer politischen Lösung deshalb mindestens offiziell nicht verschliessen. Ob er damit rechnet, dass diese Wahlen nie stattfinden werden – denn viele der gesetzlichen Grundlagen fehlen noch – und er bis dann einen militärischen Sieg verbuchen kann, ist nicht auszuschliessen.
Könnte Haftar die richtige Figur für das ganze Land sein?
Haftar wird oft mit Ägyptens Sisi verglichen, der vom Armeechef zum Präsidenten wurde. Er selbst hat einen solchen Weg auch schon angetönt und einen Militärrat als Führungsgremium verlangt. Sicher würde Haftar in dieser Funktion nicht für einen zivilen demokratischen Staat stehen.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.