In Deutschland kann man von Juni bis August den Nahverkehr zum Schnäppchenpreis von neun Euro im Monat nutzen. Das Ticket ist beliebt: 21 Millionen Stück wurden bisher verkauft. Es soll die Menschen angesichts der Teuerung entlasten – und den öffentlichen Verkehr stärken. Ein Kritiker dieses Tickets ist Verkehrsplanungsexperte Kay Axhausen.
SRF News: Was spricht dagegen, dass man mit günstigen Tickets den Umstieg vom Auto auf den ÖV fördert?
Kay Axhausen: Der Effekt des 9-Euro-Tickets ist rein saisonal, das ist einfach eine Party, ein Sommernachtstraum, der Ende August endet. Und dann muss man sich fragen, ob das Geld nicht an anderer Stelle eingesetzt werden könnte, um den ÖV zu fördern.
Laut einer Datenanalyse sind Züge, Trams und Busse voller, die Strassen leerer. Heisst das nicht: Ziel erreicht?
Da wäre ich vorsichtig. Ja, es sind neue Tickets verkauft worden. Die bisherigen Abonnenten haben den billigeren Preis bekommen. Aber, wenn man das wirklich ursächlich auf das 9-Euro-Ticket zurückführen wollte, müsste man das auch belegen. Saisonale Schwankungen gibt es immer. Zudem sieht diese Analyse nur die Autofahrer, nicht, was die Leute wirklich machen. Wir wissen nicht, ob diese wenigeren Autofahrer jetzt tatsächlich mit dem ÖV unterwegs sind. Wir können es nur vermuten.
Wie könnte man den öffentlichen Verkehr nachhaltig fördern?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Wir können den ÖV ausbauen und besser machen. Oder wir können die Bedingungen für die anderen Verkehrsmittel gleich oder schlechter machen. Zu den Verbesserungen: Im Schweizer wie auch im deutschen ÖV geht es um die Anzahl der Mitarbeiter. Wir haben das gesehen bei den fehlenden Lokomotivführern.
Es gibt genügend Möglichkeiten, im ÖV Geld auszugeben, das nicht nach drei Monaten verpufft.
Züge mussten ausfallen. Das muss nicht sein. Es müssten entsprechende Reserven da sein. Die Fahrzeuge sind teilweise überaltert und zu klein. Die Strecken könnten weiter ausgebaut werden, um dort auch Geschwindigkeitsgewinne respektive Stabilisierungen des Fahrplans zu erreichen. Es gibt genügend Möglichkeiten, im deutschen oder Schweizer ÖV Geld auszugeben, das nicht nach drei Monaten verpufft.
Kann man mit mehr Lokführerinnen und -führern tatsächlich jemanden dazu bringen, vom Auto auf den Zug umzusteigen?
Ja, weil das die Wirkungskette ist. Wenn zu wenig Personal da ist, fallen Züge aus. Das heisst, das System wird unzuverlässiger. Und für jene, die gerade auf den Zug warten, ist das natürlich super lästig. Eine bessere Verlässlichkeit ist ein ganz wesentliches Element der Attraktion des ÖV.
Die SBB experimentiert mit sogenannten Spartickets für einzelne Verbindungen. Ist das ihrer Ansicht nach der richtige Weg?
Wir wissen alle, dass der Preis der Monatskarten respektive des GAs ein politischer Preis ist. Wenn die SBB hier sagen würde, Nein, wir sind zu billig, würde das eine riesige Diskussion auslösen. Aber im Moment muss die SBB an ihrem Preissystem arbeiten; als Reaktion auf Corona und vor allem auf die Reaktion auf das Arbeiten von zu Hause.
Natürlich kann die Schweiz ein paar Milliarden verpulvern. Nichts hält sie davon ab.
Die SBB versucht jetzt im Freizeitverkehr mehr Kunden anzuziehen. In der Zeit, in der die Züge in der Regel vergleichsweise leer sind, füllt sie mit diesen Spartickets eine Lücke und ist damit wohl ganz erfolgreich.
Wäre ein Angebot wie das 9-Euro-Ticket für die Schweiz ein Weg?
Natürlich kann die Schweiz ein paar Milliarden verpulvern. Nichts hält sie davon ab. Aber ich denke mal, sie sollte das Geld lieber in die Hand nehmen und den ÖV-Anbietern weitere Subventionen, weitere Mittel zur Verfügung stellen, ihre Netze und ihre Angebote zu verbessern.
Das Gespräch führte Sandra Witmer.