In Syrien tobt der Krieg weiter, der UNO-Sicherheitsrat konnte sich bisher nicht auf eine befristete Waffenruhe einigen. Und das trotz heftigem Beschuss der Region Ost-Ghuta bei Damaskus durch Regime-Kräfte, bei denen in den letzten Wochen Hunderte Zivilisten umgekommen sein sollen.
Auch an der türkisch-syrischen Grenze in Afrin droht die Lage zu eskalieren. Dort kämpfen türkisch unterstützte Truppen nicht nur gegen Kurden, sondern auch gegen regimetreue syrische Milizen. Wie verworren die Situation in Syrien ist, versucht die Nahostexpertin des österreichischen «Standard», Gudrun Harrer, zu erklären.
SRF News: Verwandelt sich der Krieg in Syrien jetzt in einen offenen Krieg zwischen der Türkei und dem Assad-Regime?
Gudrun Harrer: Die Gefahr besteht tatsächlich. Sollten die türkische und die syrische Armee direkt aufeinanderprallen, hätten wir im syrischen Krieg eine neue Dimension. Beide Seiten setzen in der Region um Afrin bisher allerdings Stellvertreter-Truppen ein. Für die Türken kämpfen dort syrische Rebellenkräfte, Assad setzt regimetreue Milizen ein.
Russland hat seine Leute vor einigen Wochen aus Afrin abgezogen. Welche Strategie verfolgen die Russen?
Sie sind sehr unglücklich darüber, dass die USA die Kurden in Ostsyrien dabei unterstützen, ihr Gebiet östlich des Euphrats zu halten. Moskau befürchtet eine Spaltung Syriens. In zweiter Linie hat Russland auch wenig Freude an einer türkisch-amerikanischen Annäherung.
Russland befürchtet eine Spaltung Syriens.
Insofern ist das russische Einverständnis mit Damaskus, dass die Region um Afrin wieder unter syrische Kontrolle kommen soll, eine Warnung an die Türkei, sich nicht zu stark mit den Amerikanern einzulassen. Hier dürfte auch der Vorfall in Deir Essor von vor zwei Wochen eine Rolle spielen, als russische Söldner bei amerikanischen Luftangriffen umgekommen sind.
Russland, Iran, die USA, die Türkei und Assad – um nur einige zu nennen – kämpfen in Syrien mit unterschiedlichen Motiven. Wer ist der Stärkste unter ihnen?
Nur Russland kann derzeit versuchen, politisch zu vermitteln. Nur Moskau kann mit allen reden. Zwar haben auch die Russen nicht auf alle Kräfte direkten Einfluss. So haben sie etwa Iran oder das Assad-Regime nicht völlig in ihrer Hand. Trotzdem ist Moskau der Spielmacher in Syrien.
Es ist völlig klar, dass Assad die zivilen Opfer nicht bloss in Kauf nimmt, sondern diese Opfer absichtlich gewollt sind. Das ist Terror gegen die Zivilbevölkerung.
Im Rebellengebiet von Ost-Ghuta östlich von Damaskus sind 400'000 Menschen seit Monaten eingeschlossen. Nun sind sie seit meheren Wochen zunehmenden Bombardierungen durch das Regime und die russische Armee ausgesetzt. Worum geht es militärisch in Ost-Ghuta?
Zunächst: Was dort passiert, ist entsetzlich zynisch. Inzwischen ist völlig klar, dass der Kampf gegen Zivilisten ein Teil der Machterhaltungsstrategie Assads ist. Er nimmt die zivilen Opfer nicht in nur Kauf, diese Opfer sind gewollt. Das ist Terror gegen die Zivilbevölkerung. Im Fall von Ost-Ghuta haben die dort lebenden Menschen den Preis dafür zu bezahlen, dass sich unter den Rebellenkräften auch extremistische Kämpfer befinden, die nicht unter den von Russland in Astana vermittelten Waffenstillstand fallen. Die Russen haben sich bemüht, die extremistischen Kämpfer aus Ost-Ghuta nach Idlib zu bringen – wie damals in Aleppo. Doch diese Bemühungen sind gescheitert. Nun dürfte es bald zu einer Bodenoffensive der Assad-Kräfte in Ost-Ghuta kommen.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.