Die Zeichen stehen auf Sturm in Italien. Der geplanten Übergangsregierung unter dem Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli werden wenig Chancen eingeräumt – die Parteien stellen sich deshalb schon jetzt auf Neuwahlen ein.
Zentrales Wahlkampfthema dürfte der Euro werden: Sowohl die Fünf-Sterne-Bewegung als auch die Lega – die beiden Sieger des letzten Urnengangs – würden die ungeliebte Währung am liebsten wieder abschaffen. Wieso das so ist, erklärt SRF-Wirtschaftsredaktor Massimo Agostinis.
SRF News: Woher kommt in Italien die grosse Wut auf den Euro?
Massimo Agostinis: Die Italienerinnen und Italiener stellen fest, dass ihre Löhne seit Jahrzehnten kaum mehr wachsen. Die statistischen Daten zeigen, dass die Löhne seit 1994 weniger als der europäische Durchschnitt zugenommen haben. Dafür geben die Italiener dem Euro die Schuld, obwohl dieser erst 1999 als Buchgeld und 2002 als Bargeld eingeführt wurde. Der eigentliche Hauptgrund für die Stagnation liegt bei den italienischen Unternehmern: Die Industrie ist immer noch auf Billigware ausgerichtet – wie es das Konzept nach dem Zweiten Weltkrieg war.
Italiens Unternehmer haben es nicht geschafft, ihre Industrie auf qualitativ hochstehende Produkte auszurichten.
Damals war Italien eine Art Billigwerkbank Europas. Gab es in der Nachkriegszeit wirtschaftliche Probleme, konnte man die Lira abwerten – und die italienischen Produkte waren im Ausland wieder konkurrenzfähig. Mit dem Euro ist das jedoch nicht mehr möglich. Entsprechend gross sind die Probleme der italienischen Unternehmer. Denn sie haben es nicht geschafft, ihre Industrie auf qualitativ hochstehende Produkte auszurichten.
Das klingt so, als habe der Euro für Italien nur Nachteile. Stimmt das?
Nein, keineswegs. Der italienische Staat hat kräftig vom Euro profitiert. So sind die Schuldzinsen trotz der immensen Staatsschulden in Höhe von heute rund 2,2 Billionen Euro tiefer als zu Zeiten der Lira. Damals bezahlte Italien wegen seiner schwachen Währung bis zu fünf Prozent Zins, dank dem Euro sind es bloss noch rund zwei Prozent. Italien hat also viel Geld beim Schuldendienst gespart. Es verwendete dieses Geld aber nicht für den Schuldenabbau.
Vor allem während Silvio Berlusconis Regierungszeit wurde das Geld mit beiden Händen ausgegeben.
Wie viele andere Länder auch, machte Italien weiter Schulden – wurde vielleicht gerade durch die tiefen Zinsen dazu verführt. Vor allem während der Regierungszeit Silvio Berlusconis von 2001 bis 2006 sowie von 2008 bis 2011 wurde das Geld mit beiden Händen ausgegeben, um die verschiedensten Klientel-Gruppen zu befriedigen.
Der Euro wird in den kommenden Monaten wohl zum grossen Wahlkampf-Thema. Was bedeutet das für die italienische Wirtschaft?
Das ist sehr schlecht für sie. Man sah 2011 was passieren kann: Als Berlusconis Regierung zu wackeln begann und gleichzeitig die Eurokrise in vollem Gang war, gingen die Investitionen aus dem Ausland stark zurück. Aufträge gingen verloren, weil plötzlich grosse Unsicherheit herrschte: Bleibt der Euro oder führt Italien wieder die Lira ein? Diese Unsicherheit dürfte sich jetzt wiederholen und könnte dazu führen, dass das Land noch mehr Geld verliert.
Was bedeutet es umgekehrt für den Euroraum, wenn in einem seiner Mitgliedsländer so offensiv der Austritt aus dem Euro gefordert wird?
Wir erinnern uns an die Griechenland-Krise: Zwar wollte das Land nicht aus dem Euro austreten, doch es stand praktisch bankrott da. Viele andere Länder wie Italien, Spanien oder Portugal wurden im Zuge der Griechenland-Krise mit hinuntergezogen und mussten plötzlich für ihre Schulden viel höhere Zinsen bezahlen.
Auch Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal könnten bald wieder höhere Zinsen für ihre Schulden bezahlen müssen.
Jetzt wird befürchtet, dass wieder das Gleiche passieren könnte. Wenn die Investoren das Vertrauen in Italien verlieren, könnten Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal ebenfalls wieder mehr Zins für ihre Schulden bezahlen müssen. Damit könnte das gesamte Euro-Gefüge wieder ins Wanken kommen. Denn die wirklichen Probleme des Euro sind keineswegs gelöst, auch wenn die Währung in letzter Zeit etwas an Stärke zulegen konnte. Immer noch geben zu viele Euro-Länder im Vergleich zu ihren Einnahmen viel zu viel Geld aus.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.