Darum geht es: Um Stimmung gegen die Ukraine zu machen, soll Russland in westlichen Grossstädten Demonstrationen inszeniert oder unterwandert haben. Das sollen Dokumente beweisen, die aus russischen Sicherheitskreisen stammen. Die Dokumente sind von einem internationalen Netzwerk von Journalisten ausgewertet worden, daran beteiligt waren unter anderem WDR, NDR und die «Süddeutsche Zeitung».
So glaubwürdig sind die Dokumente: Palina Milling arbeitet beim WDR und ist Teil des Rechercheteams. Die Unterlagen seien vertrauenswürdig. «Die geheimen Papiere wurden dem Dossiers Center zugespielt, einem Rechercheteam aus London, welches vom Kremlkritiker Michail Chodorkowski finanziert wird. Wir haben auch mit Vertretern mehrerer westlicher Geheimdienste gesprochen und halten die Unterlagen für plausibel und authentisch.»
Gefakte Demo in Paris: Im Zentrum der Recherchen steht eine angebliche Demonstration in Paris. Zwei vermummte Männer stehen unweit der Sacré-Coeur-Kathedrale in der französischen Hauptstadt. Auf Bannern sind Anfeindungen gegen den türkischen Präsidenten Erdogan zu lesen. Das verheerende Erdbeben im Februar in der Türkei ist für die Demonstranten eine Strafe. «Also sozusagen dafür, dass die Türkei russische Touristen aufnimmt», so Milling. Auf einem der Banner sieht man zudem die ukrainische Flagge. «Die Videos und Fotos werden mit entsprechenden Texten in den Posts begleitet, aus denen man gut herauslesen kann, dass dies der ukrainischen Gemeinde in die Schuhe geschoben werden soll.»
So gross war die Resonanz: Wie gross war die Resonanz auf die russischen False-Flag-Aktion? «Tatsächlich wurden die Beiträge nicht oft geteilt oder kommentiert», erklärt Milling. Es könne sein, dass dies mit dem Ort oder der Zeit der Organisation dieser Protestaktion zusammenhänge. Viel wichtiger sei aber ein anderer Punkt: «Desinformationsforscher beobachten solche Aktionen bereits seit längerem. Man sieht darin ein Zeichen, dass Russland weiterhin versuchen könnte, solche Aktionen zu starten und auch auf Social Media zu verbreiten.»
Das sind die Urheber: Milling erklärt gegenüber SRF, wie sie möglichen Drahtziehern hinter den Fake-Demos auf die Schliche kamen. «Die Protestaktion in Paris wurde von mehreren Accounts geteilt, unter anderem auch von unechten. Auf Facebook befand sich aber auch ein realer Account darunter.» Dieser Mann soll sich momentan in Russland aufhalten. «Im Vorfeld anderer Proteste in europäischen Städten hat er nach Demonstranten gesucht.» Er habe ihnen Geld angeboten und gefragt, ob sie für 80-100 Euro Fotos und Videos machen möchten, so Milling. Gegenüber dem Rechercheteam habe der Mann die Vorwürfe entschieden zurückgewiesen und behauptet, dass sein Profil gehackt worden sei. «Kurz nach unserer Anfrage war sein Facebook-Account gelöscht.»
Das ist das Ziel solcher Fake-Demonstrationen: «In den Dokumenten wird darauf abgezielt, für Spannungen innerhalb der EU und der Nato zu sorgen», erklärt Recherche-Mitarbeiterin Milling. Mit solch gefakten Protesten werde beispielsweise versucht, die Unterstützung der Ukraine zu schwächen oder für antimuslimische Stimmung in europäischen Staaten zu sorgen. «Offenbar hat Russland die Koranverbrennung im Januar in Schweden beobachtet, welche in den muslimischen Ländern für Proteste gesorgt hat.» Darauf werde in den Papieren Bezug genommen.