Was ist passiert? Die Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, hat am Freitag einen Audiomitschnitt eines rund 30-minütigen vermutlich abgehörten Gesprächs veröffentlicht. Darin sind offenbar hohe Offiziere der deutschen Luftwaffe zu hören, wie sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutieren.
Welchen Inhalt hat das Gespräch?: Am Gespräch, das zur Vorbereitung auf eine Unterrichtung für Verteidigungsminister Boris Pistorius dienen soll, tauschen sich Offiziere aus. Dabei geht es scheinbar um die Frage, ob Taurus-Marschflugkörper technisch theoretisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt im Gespräch ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Beteiligung des deutschen Militärs bewerkstelligen könnte. Allerdings ist im möglichen Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht gibt für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper.
Das wird jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt.
Ist der Mitschnitt echt? Das deutsche Verteidigungsministerium geht davon aus, dass das Gespräch abgehört wurde. «Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen», teilte eine Sprecherin mit.
Warum ist die mögliche Abhöraktion brisant? Sie entlarvt offensichtlich eine Sicherheitslücke im deutschen Militär. Es bleibt zu klären, wie Russland an die Aufnahme kam und ob es sich um eine gezielte Abhöraktion handelte.
Wie reagiert die Regierung? Der deutsche Kanzler hat eine schnelle Aufklärung versprochen. Am Rande eines Besuchs im Vatikan sprach Olaf Scholz von einer «sehr ernsten Angelegenheit». Auf eine Frage der Deutschen Presse-Agentur nach möglichen aussenpolitischen Schäden sagte er: «Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt.»
Was ist der Kontext des Gesprächs? Die ukrainische Regierung hat im Mai 2023 um die Lieferung der Marschflugkörper gebeten, um die russischen Nachschublinien auf besetztem Gebiet hinter der Front treffen zu können. Scholz entschied im Oktober, die Taurus-Raketen vorerst nicht in die Ukraine zu schicken. In den vergangenen Tagen bekräftigte er sein Nein mit der Begründung, dass er vermeiden wolle, dass Deutschland in den Krieg verwickelt wird.
Welche Zwecke könnte Russland verfolgen? Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte dem ZDF: «Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde. Die Absicht dahinter könne nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden.» Russland wolle Scholz abschrecken, indem man «öffentlich zeigt, wie tief Russland die deutschen Entscheidungsvorbereitungen dazu bereits aufgeklärt hat».
Laut Ronja Kempin, Expertin für deutsche und französische Sicherheitspolitik bei der Deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik, nutzt der Kreml ferner aus, dass der Kanzler in der Frage unter Druck von der eigenen Regierung steht. Ob Deutschland Marschflugkörper liefern soll oder nicht, wird in Deutschland aktuell intensiv debattiert.