Das EU- und Nato-Land Litauen grenzt an Belarus. Zahlreiche belarussische Regime-Kritiker und Lukaschenko-Gegnerinnen sind nach Litauen geflüchtet. Auch das gekaperte Flugzeug der RyanAir war auf dem Weg in die litauische Hauptstadt Vilnius, als der Pilot gezwungen wurde in Minsk zu landen. Es sei höchste Zeit, über den Schutz gegen weitere Angriffe von Diktator Lukaschenko nachzudenken, sagt Aussenminister Gabrielius Landsbergis.
SRF News: Herr Aussenminister, Belarus ist nah. Wie sicher ist Litauen?
Gabrielius Landsbergis: Litauen ist Mitglied der Nato und der EU, das ist unser Sicherheitsschirm. Aber wir müssen uns fragen, wie sicher Europa mit einem Diktator an seinen Grenzen ist, der nicht davor zurückschreckt, gegen internationale Flugpassagiere vorzugehen. Das war ein Angriff auf Europa, ja sogar auf die internationale Gemeinschaft. Und wir müssen darüber nachdenken, was Lukaschenkos künftige Schritte sein könnten und wie wir uns dagegen schützen können. Diese Diskussion hat bereits begonnen.
Sie spielen auf Sanktionen an. Welche zusätzlichen Massnahmen müssten beschlossen werden?
Wir unterstützen Wirtschaftssanktionen. Nun muss man festlegen, welche Sektoren betroffen sein sollen. Ich würde mehrere nennen: Erstens kann sich die belarussische Regierung bei westlichen Banken immer noch Geld leihen. Das verleiht dem Regime grosse Stabilität. Wenn das aufhören würde, würde der Manövrierraum von Lukaschenko deutlich eingeschränkt.
Die belarussische Regierung kann bei westlichen Banken immer noch Geld leihen.
Zweitens: Erdölprodukte. Europa und Belarus handeln damit. Eine interessante Idee betrifft den Tabak-Sektor. Der Westen exportiert viel Rohtabak nach Belarus. Das verarbeitete Produkt kommt als Schmuggelgut wieder zurück, was viel Geld in Lukaschenkos Kasse spült. Ein Verbot würde diesen Geldfluss und den Schwarzhandel stoppen. Diese Ideen zirkulieren und die Botschafter in Brüssel werden sie diskutieren.
Denken Sie, die EU kann sich auf solche Sanktionen einigen?
Ich bin zumindest optimistisch, dass es möglich ist. Denn nun ist die Zeit zum Handeln gekommen. Etwas hat Europa getroffen, etwas, das nicht nur eine Schlagzeile ist. Es ist persönlich geworden. Menschen wurden angegriffen, als sie am verwundbarsten waren: in der Luft. Und daran schuld ist der Diktator. Das hat uns tief berührt. Deshalb denke ich, dass ein Konsens möglich ist.
Menschen wurden angegriffen, als sie am verwundbarsten waren: in der Luft.
Welche Rolle könnte die Schweiz dabei spielen?
Die Schweiz könnte sich Sanktionen anschliessen. Es hätte auch ein Flugzeug von Bern in eine andere Hauptstadt sein können. Und wer weiss, in welchem Flugzeug ein Oppositioneller sitzen wird, den Lukaschenko will? Zufällig war es eine Maschine von Athen nach Vilnius. Es hätte auch eine von Genf nach Helsinki sein können. Ich würde applaudieren, wenn die Schweiz sich anschliessen würde.
Ich würde applaudieren, wenn die Schweiz sich anschliessen würde.
Sie treten nicht nur gegenüber Belarus entschieden auf, Sie warnen auch davor, Russland gegenüber zu sanft zu sein und fordern China heraus mit Ihrer Politik. Litauen ist aber ein kleines Land. Warum tun Sie das?
Island hat 1991 als erstes Land Litauen als unabhängigen Staat anerkannt. Wir werden das nie vergessen. Wir haben eine Island-Strasse im Zentrum von Vilnius. Wir wissen also, dass manchmal die Zeit für kleine Länder gekommen ist, Verantwortung zu übernehmen.
Wir wissen also, dass manchmal die Zeit für kleine Länder gekommen ist, Verantwortung zu übernehmen.
Unsere Regierung hat von der Bevölkerung das Mandat, die liberale Demokratie zu verteidigen. Denn wir haben gesehen, was geschieht, wenn diese eingeschränkt ist. Unsere Eltern haben einen guten Teil ihres Lebens in einem Land ohne Demokratie und ohne Freiheit verbracht. Wir haben gekämpft und gewonnen. Und deshalb wissen wir genau, dass man einen Preis dafür zahlen muss, um frei zu sein.
Ist das auch eine persönliche Angelegenheit? Ihr Grossvater war der erste Präsident des unabhängigen Litauens nach der Loslösung von der Sowjetunion.
Unser Land wurde in den letzten 30 Jahren von den Leuten aufgebaut, die entweder selbst für die Freiheit gekämpft haben, oder die auf den Schultern derjenigen sassen, die das taten. Ich selber sass auf den Schultern meiner Eltern, als sie Ende der 1980er-Jahre an den Freiheitsmärschen teilnahmen.
Ich war damals zwar noch ziemlich jung – aber ich kann mich daran erinnern. Es ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Viele Leute in dieser Stadt werden Ihnen dasselbe erzählen. Dieser Kampf um die Freiheit ist immer noch lebendig, er ist nicht einfach ein Text in einem Geschichtsbuch, das in einer Bibliothek Staub ansetzt.
Das Gespräch führte Judith Huber.