Lashkar Gah, Kundus, Herat, Ghasni, Kandahar, Masar-i-Scharif, Dschalalabad, Kabul... Eine afghanische Stadt nach der anderen haben die Taliban erobert. Fast kampflos. Die Armee des Landes, vom Westen während zwei Jahrzehnten für zig Milliarden Dollar und von zehntausenden westlichen Soldaten ausgebildet, ergab sich ohne Gegenwehr. Sie implodierte richtiggehend.
300'000 Mann zählten die Streitkräfte Afghanistans. Angeblich. Tatsächlich dürften es viel weniger gewesen sein. Viele waren Karteileichen, für welche der Westen Sold entrichtete, die aber gar nicht existierten, längst desertiert waren oder im Kampf gegen die Taliban getötet wurden.
Schönfärberei zur Rechtfertigung
Westliche Politiker behaupteten bis vor kurzem, die afghanische Armee sei nun selber imstande, ihr Land gegen die Radikal-Islamisten zu verteidigen. Auch US-Präsident Joe Biden. Doch das war eine Mischung aus Schönfärberei und Wunschdenken. Beides sollte vor dem Heimpublikum in den Nato-Staaten rechtfertigen, weshalb ihre Truppen immer noch am Hindukusch im Einsatz waren.
Wer nämlich in den vergangenen Jahren afghanische Truppen und die westlichen Ausbildungslager besuchte und mit Nato-Militärs vor Ort sprach, erhielt einen völlig anderen Eindruck: Jener einer Armee, die aus eigener Kraft noch immer nicht lebensfähig war. Die Nato-Truppen taten viel, um das zu ändern. Jedoch nicht immer das richtige.
In Afghanistan eine moderne Armee mit komplexen Strukturen nach westlichem Muster aufzubauen, war der falsche Ansatz. So waren die vom Westen gestellten Flugzeug- und Helikopterflotte für die Afghanen nach Abzug der westlichen Ausbildenden und Techniker weitgehend nutzlos.
Unterstützer als Besatzer bezeichnet
Dass sich viele afghanische Soldaten auch als Kanonenfutter vorkamen, ist ein weiteres Problem. Die lokalen Armeeangehörigen hatten hohe Verluste zu beklagen, sie waren im Gelände operativ und nicht die Amerikaner, die Deutschen oder die Franzosen. Dass mitunter die afghanische Regierung selber ihre westlichen Unterstützer als Besatzer bezeichnete und damit ihre eigenen Soldaten zu Hilfstruppen einer Besatzung degradierte, half gewiss auch nicht.
In der Armee hatten die Afghanen immerhin ein Auskommen. Doch der Lohn war karg, weshalb viele Waffen und Munition verhökerten. Zudem waren die afghanischen Streitkräfte geprägt von Befehlskettenchaos und Führungsmängeln. Hohe Kommandoposten gingen an Günstlinge der Regierung. Offiziersränge waren käuflich. Viele Offiziere haben sich ins Ausland abgesetzt. Waffen, Munition und Fahrzeuge fallen nun in die Hände der Taliban.
Soldaten glaubten nicht ans Projekt
In freien, demokratischen Wahlen hätten die Taliban niemals die Macht in Afghanistan errungen. Viel zu unbeliebt waren und sind sie in weiten Teilen des Landes. Mit Gewalt, Geschick und Geduld gelang es ihnen nun doch. Der Hauptgrund war nicht der schlechte Zustand der Armee.
Vielmehr die schlechte Moral der Soldaten. Es fehlte ihnen jeder Glaube an das Projekt eines freien, stabilen und demokratischen Afghanistans. Eines, für das sich zu kämpfen lohnt. Es fehlte jegliche Loyalität gegenüber der unfähigen und korrupten Regierung in Kabul. Deshalb tauchten viele, als es nun ernst wurde, einfach ab oder liefen ganz pragmatisch über zu den neuen Machthabern, den Taliban.