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Urs Wälterlin über den Umgang der weissen Australiern mit den Ureinwohnern
Aus SRF 4 News aktuell vom 03.08.2018.
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Massaker an Aborigines «Das Land wurde mit ihrem Blut getränkt»

Im Zuge der Kolonisation Australiens ist es zu Hunderten Massakern gekommen, bei denen tausende Aborigines getötet wurden. Dies zeigt der Bericht «Colonial Frontier Massacres in Central and Eastern Australia 1788-1930», der an der australischen Universität von Newcastle erarbeitet worden ist. Das Ausmass der Gewalttaten war bisher massiv unterschätzt worden.

Bis heute sei die Art und Weise, wie die weissen Eroberer mit den Ureinwohnern umgegangen seien, ein Tabu in Australien, sagt SRF-Mitarbeiter Urs Wälterlin. Erst allmählich seien australische Wissenschaftler dabei, diese Geschichte aufzuarbeiten.

Urs Wälterlin

Mitarbeiter Australien/Ozeanien

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Der gebürtige Prattler Urs Wälterlin lebt seit 1992 in der Nähe der australischen Hauptstadt Canberra. Er berichtet für SRF über Australien, Neuseeland und Ozeanien.

SRF News: Welche Belege gibt es, dass tatsächlich so viele Massaker stattgefunden haben, wie der neue Bericht aufzeigt?

Urs Wälterlin: Es ist zu befürchten, dass es sich bei den bislang erhärteten 250 Fällen von Massakern nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Die Daten zu den verschiedenen Übergriffen stammen aus unterschiedlichen historischen Quellen.

Es wurden Aufzeichnungen von Siedlern wie Tagebücher oder auch Polizeiprotokolle ausgewertet. Zudem befragten die Historiker die Nachkommen von Überlebenden. Berichte über solche Tragödien werden in den Aborigine-Gesellschaften verbal und sehr detailliert von einer Generation zur nächsten weitergegeben.

Die Geschichte Australiens reicht mehr als zwei Jahrhunderte zurück – weshalb werden die Erkenntnisse zu diesen Massakern erst jetzt bekannt?

Die Tatsache, dass es Massaker gegeben hat, ist nicht wirklich neu. Doch das Thema ist für viele Australier tabu. Viele sind daran auch schlicht nicht interessiert. Die Leute hätten andere Probleme, hört man auf der Strasse. Anders ist es für die betroffenen Aborigines. Bei den Ureinwohnern sitzt der Schmerz immer noch tief, denn die meisten weissen Täter wurden nie bestraft. Es sind nur wenige Fälle dokumentiert, in denen Leute wegen Mordes von einem Gericht verurteilt und gehängt wurden.

Sie haben Aborigines gejagt – quasi als Sonntagsvergnügen.

Wer die neuen Berichte liest, sieht ein oftmals orchestriertes Abschlachten der Ureinwohner. Man liest von Vergewaltigungen selbst kleiner Mädchen. Gruppen von Menschen wurden zusammengetrieben und über eine Klippe in den Abgrund gestossen. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass diese Ereignisse noch gar nicht so lange her sind. Mir erzählte ein älterer Mann in den 1980er Jahren, dass noch sein Grossvater am Wochenende Aborigines gejagt habe – quasi als Sonntagsvergnügen. Die abgeschnittenen Köpfe wurden auf der Veranda als Trophäen aufgereiht.

Australischer Ureinwohner auf einem Felsen im Gegenlicht, er spielt Didgeridoo.
Legende: Die Aborigine-Kultur besteht in ihrer ursprünglichen Art vor allem noch im Northern Territory. Reuters

Wieso wurde die britische Besiedlung Australiens in der australischen Geschichtsschreibung bisher derart beschönigt?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Das erwähnte Tabu ist eines, oder auch die Scham – zumindest bei einigen Leuten. Während langer Zeit herrschte in Australien aber auch die Meinung vor, diese sogenannten Frontkriege zwischen den weissen Invasoren und den Ureinwohnern seien eigentlich gar nicht so schlimm gewesen.

Dazu beigetragen hatten Bücher von Akademikern, die von einer «Übertreibung» sprachen. Davon kann aber keine Rede sein, wie die neue Studie der Universität Newcastle zeigt. Im Gegenteil: Früher sprach man von rund 25'000 indigenen Opfern der Frontkriege. In Tat und Wahrheit waren es aber wohl eher 60'000. Die Realität ist: Australien wurde 1788 den ursprünglichen Besitzern gestohlen und das Land mit ihrem Blut getränkt.

Wie verändern die neuen Erkenntnisse die australische Geschichtsschreibung?

Ob die Erkenntnisse die Geschichtsschreibung tatsächlich verändern wird, ist offen. Vor ein paar Jahren ist ein erster ähnlicher Bericht veröffentlicht worden, doch in den Medien wurde das Thema kaum behandelt. Viele Australier interessieren sich schlicht nicht dafür. Sei es nun bewusst oder unbewusst.

Bleibt das schwierige Verhältnis zwischen den weissen Australiern und der Urbevölkerung also, wie es ist?

So lange es an politischer Führung fehlt, wird sich tatsächlich nichts ändern. So wurde etwa kürzlich der Vorschlag mehrerer indigener Völker, eine beratende Stimme im Parlament zu erhalten, von Premierminister Malcolm Turnbull abgeschmettert.

Die Realität ist: Australien wurde 1788 den ursprünglichen Besitzern gestohlen und das Land mit ihrem Blut getränkt.

Das Bewusstsein für die tragische indigene Geschichte in Australien ist wesentlich weniger entwickelt als in anderen Ländern. So sind etwa die Maori im Nachbarland Neuseeland viel besser integriert und sie haben viel mehr Rechte. Davon können die Aborigines nur träumen, solange die Australier der Realität nicht ins Auge sehen wollen: Dass nämlich Australien 1788 den ursprünglichen Besitzern gestohlen und das Land mit ihrem Blut getränkt wurde.

Das Gespräch führte Kevin Capellini.

Von den Weissen fast ausgerottet

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Die australischen Ureinwohner besiedelten vor 40'000 bis 60'000 Jahren den Kontinent von Norden her. Die Aborigines sind kein einheitliches Volk, sondern bestehen aus Stämmen oder Clans mit oftmals sehr unterschiedlichen Gebräuchen und Sprachen. Ursprünglich lebten die Ureinwohner vor allem als Jäger und Sammler.

Bei der Ankunft der Europäer 1788 lebten bis zu einer Million Aborigines auf dem Kontinent. Ihre Zahl verringerte sich bis 1920 auf rund 60'000. Hunderttausende starben an eingeschleppten Krankheiten, Tausende durch gewaltsame Konflikte mit den Siedlern um Landrechte.

Heute leben etwa 460'000 Aborigines in Australien, die meisten von ihnen in den Städten. Erhalten geblieben sind ihre Traditionen noch am ehesten im Northern Territory. (wikipedia)

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