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Massenproteste in Serbien Serbiens Jugend probt den Aufstand gegen Präsident Vucic

Im November starben 15 Menschen beim Einsturz eines Bahnhofsdachs. Das Unglück löste eine riesige Protestwelle aus.

In Serbien hallt die Tragödie vom 1. November 2024 weiter nach. Damals stürzte in Novi Sad ein Vordach eines Bahnhofs ein, 15 Menschen kamen ums Leben. Das Unglück, das sich nach mutmasslich unsachgemäss ausgeführten Umbauarbeiten ereignet hatte, erschütterte das ganze Land und löste eine Protestwelle gegen die Regierung von Präsident Aleksandar Vucic aus.

Studierende von mehr als 50 Fakultäten besetzten ihre Universitäten und trugen ihre Wut auf die Strasse. Sie führen die Tragödie auf die Inkompetenz, Vetternwirtschaft und Korruption der Machthaber zurück. Bis heute kommt es täglich zu Protestaktionen.

Wut über Korruption und Vetternwirtschaft

«Die Empörung ist noch immer sehr gross», sagt SRF-Auslandredaktor Janis Fahrländer. Er war selbst in Serbien, als sich das Unglück in Novi Sad ereignete und die Massenproteste in Novi Sad begannen. Dort erlebte er eine Mischung aus Wut auf die Machthaber und Trauer um die Opfer. «Es herrschte das Gefühl vor, den Machenschaften der korrupten Elite ausgeliefert zu sein.»  

Studierende protestieren in Belgrad (12. Januar)
Legende: Morsche Infrastruktur als Sinnbild eines morschen Systems in Serbien? Die Protestierenden machen die Regierung von Präsident Aleksandar Vucic direkt für das Unglück verantwortlich. Keystone/EPA/ANDREJ CUKIC

Die Demonstrierenden fordern eine lückenlose Aufklärung des Unglücks und ein Ende der Einschüchterung von Exponenten der Protestbewegung. «Doch es geht schon lange um mehr als das», berichtet der Balkan-Kenner von SRF. «Es geht um die chronische Korruption, die sämtliche Ebenen des Staates durchzieht.»

Das «System Vucic»

Dass sich die Wut der Jugend auf den Präsidenten richtet, hat auch mit seiner Machtfülle zu tun: Vucic hat als Präsident laut Verfassung zwar eher zeremonielle Befugnisse, in Wirklichkeit trifft er aber alle wichtigen Entscheidungen im Land. Auch die Justiz steht weitgehend unter seiner Kontrolle.

Aleksandar Vucic
Legende: Aleksandar Vucic hatte kurz vor Jahresende dem regierungsnahen TV-Sender Prva ein Interview gegeben, in dem er sagte, er habe keine Angst vor den Studenten. Er lade sie zum Gespräch ein, sagte er, aber sie würden nicht kommen, weil «sie keine Argumente haben». Keystone/AP/DARKO VOJINOVIC

«Vucics regierende Partei kontrolliert von der lokalen Ebene bis ins nationale Parlament alle Teile des Staates», sagt Fahrländer. «In den Jahren an der Macht hat sie ein Klientelsystem aufgebaut und verhält sich, als wäre der Staat ein Selbstbedienungsladen.»

Proteste als «anti-serbisch» diffamiert

Gleichzeitig diffamieren die von der Regierung gesteuerten Medien die Protestbewegung als «anti-serbisch» und werfen ihr vor, vom Ausland gesteuert zu sein. «Diese Taktik kennt man in Serbien», sagt Fahrländer. Da die Regierung aber weite Teile der Medien kontrolliere, sei die Kampagne auch sehr effizient.

Demonstrierende in Belgrad.
Legende: Die Studierenden blockieren seit Wochen Verkehrsknotenpunkte in verschiedenen Städten Serbiens. Dabei halten sie jeweils 15 Schweigeminuten ab – eine Minute für jedes der Todesopfer von Novi Sad. Keystone/AP/DARKO VOJINOVIC

Die Studierenden erfahren allerdings auch Solidarität aus der Zivilbevölkerung, so auch von prominenter Seite. Der Tennisstar Novak Djokovic schrieb etwa auf X: «Als jemand, der an die Stärke junger Menschen und ihren Wunsch nach einer besseren Zukunft glaubt, halte ich es für wichtig, dass ihre Stimme gehört wird.»

Für das kommende Wochenende sind weitere Grosskundgebungen angekündigt. Es ist aber fraglich, ob sie wirklich etwas verändern können. In Serbien gab es in den letzten Jahren immer wieder grosse Protestbewegungen. «Bewirkt haben sie aber wenig bis gar nichts», schliesst Fahrländer. Auch, weil die Opposition zu zersplittert und zerstritten sei, um einen politischen Wandel herbeizuführen.

SRF 4 News, 14.01.2025, 8:40 Uhr ; 

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