Am 25. April wird die weltberühmte Lagunenstadt erstmals ein Eintrittsgeld verlangen. Fünf Euro kostet das Ticket, das man online reservieren muss. Die Stadt will so den Massentourismus bändigen. Und zwar an maximal 30 Tagen im Jahr, an denen erfahrungsgemäss besonders viele Menschen anreisen.
Mit dem Eintrittsticket wird Venedig offiziell zum Museum.
Doch in Fachkreisen gehen die meisten davon aus, dass die Probleme Venedigs mit diesem 5-Euro-Ticket kaum kleiner werden dürften. Unter ihnen ist auch der Römer Soziologe Marco D’Eramo, der seit langem zum Phänomen Tourismus publiziert. Der Eintritt von fünf Euro sei bedeutungslos, ein Trinkgeld, das die Leute sicher nicht abschrecken werde.
Trotzdem habe die Gebühr eine ganz starke symbolische Bedeutung, denn Venedig werde damit definitiv und offiziell zum Museum, betont D'Eramo. Oder anders gesagt: Venedig werde keine Stadt mehr sein. Faktisch ist es das wohl schon seit einiger Zeit.
In der historischen Altstadt leben heute noch etwa 50'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Bis zu 100'000 Gäste zählt Venedig an gewissen Wochenenden. Darum gibt es in der Stadt kaum mehr Läden für den täglichen Bedarf wie etwa Coiffeurgeschäfte, Klempner oder Kinos. Alles ist auf Tourismus ausgerichtet – ein Museum eben.
«Wenn eine schöne Stadt keine Funktion mehr hat, dann wird sie eben zu einer Touristenattraktion», unterstreicht D'Eramo und umschreibt das mit «Ersatzindustrie». Die frühere Funktion als Hafen und Handelszentrum hat Venedig schon lange eingebüsst. Geblieben ist einzig der Tourismus.
Um Leute abzuschrecken, müsste man eine viel höhere Eintrittsgebühr verlangen. 500 Euro etwa hätten einen Effekt.
Und darin unterscheidet sich Venedig grundlegend von anderen Touristenstädten wie London, Paris oder New York, die ebenfalls Millionen anziehen. Da diese Metropolen aber noch viele weitere Funktionen hätten, werde der Tourismus verdünnt und dominiere nicht alles, so D'Eramo. In Venedig aber nimmt der Tourismus überhand, auf ungesunde Weise.
Um Leute tatsächlich abzuschrecken, reichten fünf Euro nicht, sagt der Soziologe. Er geht davon aus, dass sich etwa beim Hundertfachen, also 500 Euro, ein Effekt einstellen würde. D'Eramo räumt ein, das eine solch hohe Gebühr die Bewegungsfreiheit und damit ein grundlegendes Menschenrecht tangieren würde.
Jenseits der Frage, ob das Ticket für Venedig etwas bringt, ist D'Eramo überzeugt, dass sich die Menschen wohl an hohe Eintrittsgebühren gewöhnen müssen. Denn mit wachsendem Wohlstand und immer mehr Freizeit wird der Platz an vielen Orten knapp.
Direkte oder indirekte Eintrittsgebühren gibt es bereits. Wer etwa San Francisco oder New York über eine Brücke erreicht, zahlt eine Gebühr. Oder in Florenz sind alle grossen und bedeutenden Kirchen nur noch mit einem Ticket zugänglich. Dem Beispiel Venedigs könnten bald weitere Städte folgen.
Kein Entrinnen für Venedig
Soziologe D'Eramo versteht den Tourismus als eine der treibenden Kräfte unserer Ökonomien und als Resultat zweier Revolutionen: Jener des Transports und dabei vor allem des Fliegens, sowie einer sozialen Revolution, welche den Menschen erstmals in der Geschichte viel bezahlte Freizeit gebracht hat. Beides führe zum Massentourismus, woran eine Fünf-Euro-Gebühr gar nichts ändern werde.
Nur zwei Dinge könnten laut D'Eramo Abhilfe schaffen: Die Leute wie beim Lockdown zu Hause einsperren oder die Transportpreise massiv verteuern. Da beides illusorisch sei, werde Venedig seinem Schicksal, nur noch Museum zu sein, nicht entrinnen.