Als Russland am 24. Februar die Ukraine überfiel, überlegte Ilja Ponomarenko, was er tun sollte. Der bekannte ukrainische Kriegsreporter kam zum Schluss: «Ich werde weiterarbeiten, was immer auch passiert und falls nötig selber zur Waffe greifen, um Kiew zu verteidigen.» Schiessen musste er nicht. Er konnte das tun, was er am besten kann, nämlich schreiben.
Wir verfolgten die Schlacht um Kiew und merkten dann, dass es doch Hoffnung gibt.
Angsteinflössend und leer sei die Stadt gewesen, erzählt er von den ersten dramatischen Wochen mit einer Kollegin und einem Kollegen vor Ort: «Wir fuhren herum und waren mit ukrainischen Truppen unterwegs. Wir verfolgten die Schlacht um Kiew und merkten dann, dass es doch Hoffnung gibt.»
Die Hoffnung hat sich für die Ukrainer schliesslich erfüllt: Die russische Armee wurde Ende März vor Kiew geschlagen; die Hauptstadt findet seither zu einer Art Alltag zurück.
«Kyiv Independent» – freier Journalismus im Krieg
In die Redaktion des «Kyiv Independent» kehren gerade die ersten Journalisten von der Mittagspause zurück. Das Internet-Medium ist noch kein Jahr alt. Es ist englischsprachig und – untypisch für die Ukraine – total unabhängig von einem Geldgeber.
Einmischung mit Geld weit verbreitet
Ponomarenko erklärt, wie das neue Projekt entstanden ist, nachdem er und viele andere Mitarbeitende der ehrwürdigen «Kyiv Post» zunehmend in Konflikt mit dem Eigentümer der Zeitung gekommen waren: «Der reiche Geschäftsmann wollte sich in unsere Arbeit einmischen, das lehnten wir ab. Am Schluss hat er uns alle entlassen.»
Das sei eine typische Geschichte für die Ukraine, sagt Ponomarenko. Da sich mit Journalismus im Land kaum Geld verdienen lasse, seien viele Medien von Geldgebern abhängig: «Diese betrachten dann ihre Zeitungen oder Sender als eine Art persönliches PR-Büro.»
Medien in der Ukraine «relativ frei»
Vor allem das TV-Geschäft wird in der Ukraine fast komplett von Oligarchen kontrolliert. Für die Medienfreiheit ist das fatal: Im Länder-Ranking von «Reporter ohne Grenzen» rangiert die Ukraine auf Platz 106. Das ist weit hinten, wenn auch noch weit vor Russland auf Platz 155.
Klar gibt es Versuche auch von Behörden, Einfluss zu nehmen, aber die Journalistinnen und Journalisten lassen sich das nicht gefallen.
In der Ukraine hat jedoch der Staat im Krieg seinen Zugriff auf die Medien ausgebaut: Präsident Selenski ordnete im März eine «einheitliche Informationspolitik» an. Nun senden die wichtigsten TV- und Radio-Kanäle alle das gleiche Nachrichtenprogramm. Dennoch beurteilt Ponomarenko die Medien in der Ukraine als «relativ frei». Journalistinnen und Journalisten liessen sich die Einflussversuche auch von Behörden nicht gefallen.
Die Unbestechlichen
Gutes Beispiel dafür ist der «Kyiv Independent», der unermüdlich über den Krieg wie auch über innenpolitische Vorgänge berichtet. Etwa über einen Richter unter Korruptionsverdacht oder einen Selenski-Vertrauten mit zweifelhaftem Ruf, der zum Generalstaatsanwalt befördert wurde.
Finanziert wird der «Kyiv Independent» ausschliesslich von seiner Leserschaft. Weil die Publikation auf Englisch erscheint, stammen sie nicht nur aus der Ukraine, sondern von überall her. Tausende überweisen monatlich eine fixe Summe an das Journalisten-Kollektiv. Auf einer Crowd-Funding-Plattform kamen zudem umgerechnet fast zwei Millionen Franken zusammen.
Der Krieg in der Ukraine hat die Arbeit für Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine gefährlich gemacht. Mindestens sieben von ihnen wurden in den vergangenen Monaten getötet.