Die Auslandberichterstattung der «Neuen Zürcher Zeitung» geniesst im deutschsprachigen Raum viel Prestige. Auch hierzulande steht das Traditionsblatt nicht eben unter Verdacht, unseriöse Berichterstattung zu betreiben oder gar Lügen zu verbreiten.
In Ungarn sieht man das offenbar anders. Zumindest, wenn man die Schwarze Liste der Zeitung «Magyar Idök» zum Massstab nimmt. Denn auf der Liste figuriert auch die NZZ-Korrespondentin Meret Baumann, die für Österreich und Ostmitteleuropa zuständig ist.
Daneben trifft der Bannstrahl des regierungsnahen Blatts etwa auch die Korrespondenten des «Tages-Anzeigers», «Spiegel Online», des österreichischen «Standard» oder der französischen «Libération».
Die Zeitung fährt schweres Geschütz gegen die unliebsamen Journalisten auf: Gewisse Auslandkorrespondenten würden «die widerwärtigsten Lügen der ultraliberalen Opposition ungefiltert an ein Millionenpublikum weitergeben.» Die ungarische Regierung müsse etwas dagegen unternehmen.
Im Gespräch mit SRF News reagiert NZZ-Korrespondentin Meret Baumann recht unaufgeregt auf die «eher willkürlich zusammengestellte Liste»: «Natürlich wurden Journalisten ausgewählt, die kritisch berichtet haben. Aber da wären noch andere zu nennen.»
Viktor Orban funktioniert nur im Konfliktmodus, er braucht einen Gegner, den er bekämpfen kann. Das macht auch seinen Erfolg aus.
Für ihre tägliche Arbeit erwartet Baumann keine gravierenden Konsequenzen – denn die findet schon jetzt unter erschwerten Bedingungen statt. So würden Mitglieder der Regierungspartei Fidesz ohnehin nur selten und wenn mit ausgewählten Medien sprechen: «Im Vorfeld der Parlamentswahl vom April hatten wir Termine mit Spitzenvertretern aller Oppositionsparteien, konnten aber mit niemandem vom Fidesz zu sprechen.»
Die Schwarze Liste schlage international hohe Wellen, weil Korrespondenten namentlich angegriffen würden, berichtet Baumann. Die langjährige Auslandredaktorin der NZZ würde sich aber wünschen, «dass meine ungarischen Kollegen dieselbe Aufmerksamkeit bekommen würden. Sie arbeiten schon viel länger mit schwierigen Bedingungen.»
Kommt hinzu: Heimische Journalisten, aber auch NGO-Vertreter erlebten teils wüste Beschimpfungen in den sozialen Medien und würden offen bedroht, sobald sie an den Pranger gestellt werden.
Bedrohte Medienlandschaft in Ungarn
In ihrem jüngsten Bericht zur weltweiten Pressefreiheit setzte «Reporter ohne Grenzen» Ungarn auf Platz 73 von 180 Ländern, zwei Ränge weiter unten als zuletzt. Wie in der Slowakei und Tschechien würden politische Führungsfiguren gezielt ein «feindseliges Klima» für Journalisten schaffen; im Falle von Ungarn etwa sei der im Land selbst geborene US-Milliardär George Soros zum «Staatsfeind Nummer 1» erklärt worden. Soros unterstützt unabhängige Medien und NGO im Land.
Baumanns Eindrücke bestätigen den Befund. Sie nennt das Beispiel der regierungsnahen Zeitschrift «Figyelo»: Erst vor wenigen Wochen habe sie 200 Leute, darunter diverse Journalisten, gelistet und sie als «Soros-Söldner» bezeichnet. Auch andere ähnlich gelagerte Vorfälle habe es gegeben.
Kritische Stimmen zunehmend unerwünscht
Baumann berichtet, wie am Tag nach der Wahl vom 8. April die bürgerliche Traditionszeitung «Magyar Nemzet» eingestellt wurde: «2016 wurde bereits das ehemalige kommunistische Parteiblatt eingestellt, die auflagenstärkste Zeitung im Land.» Für unabhängige, regierungskritische Journalisten würde es zunehmend schwierig, überhaupt Arbeit zu finden.
Premier Orban arbeitet ungeniert an dem feindseligen Klima mit. In einem Radio-Interview forderte er kürzlich heimische Medien auf, «Journalisten-Netzwerke» aufzudecken. Die Weisung richtet sich freilich an Journalisten, die stramm auf Fidesz-Kurs sind.
Im April konnte Orban seine Zweidrittelmehrheit im Parlament bestätigen. Wer erwartet, dass er die Zügel angesichts des Wählerzuspruchs lockern könnte, dürfte sich täuschen: «Orban funktioniert nur im Konfliktmodus, er braucht einen Gegner, den er bekämpfen kann. Das macht auch seinen Erfolg aus», schliesst Baumann.