Bei den Wahlen am Wochenende in Ungarn hat Premier Viktor Orban mit seiner Fidesz-Partei zum dritten Mal in Folge triumphiert und damit erneut eine Bestätigung für seinen autoritären Regierungsstil erhalten. Das führt zu Sorgenfalten in der Europäischen Union. Zu recht, sagt Florian Hartleb.
SRF News: Ist die Sorge in Europa vor einer Orbanisierung berechtigt?
Florian Hartleb: Die Sorge ist berechtigt. Denn Viktor Orban hat in Ungarn eine massive Kampagne gegen die EU gefahren. Es ging ihm darum, dass vor einer multikulturellen Gesellschaft gewarnt wird, dass Brüssel als Feind gesehen wird, und auch darum, dass weniger der europäische Geist herrscht, sondern dass die EU als Feindbild für den eigenen Nationalstaat gilt.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Orban in der EU Nachahmer findet?
Diese Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Denn Orban hat bereits der Flüchtlingspolitik seinen Stempel aufgedrückt. Für Europa kann man sagen: Weniger Angela Merkel im Hinblick auf die Willkommenskultur, mehr Orban. Gerade die Staaten in Ost- und Mitteleuropa beziehen sich sehr stark auf Ungarn, zum Beispiel Polen. Generell ist es so, dass sich viele der Parteien – insbesondere die Mitterechtsparteien, im Licht des Siegers sehen wollen. Deshalb will genau studiert sein, weshalb Orban so erfolgreich war.
Wieso ist eine Orbanisierung in Ost- und Mitteleuropa wahrscheinlicher?
Weil man hier zu autoritären Mustern greift, beispielsweise in Polen, Tschechien oder der Slowakei. Diese Staaten sind 2004 der EU beigetreten. Die Beitrittseuphorie ist verflogen und man hat auch wenig Erfahrung mit Muslimen.
Orban steht im diametralen Widerspruch zu christdemokratischen Werten.
Und man sieht die offene Politik, die in Deutschland von Merkel im Herbst und Winter 2015 forciert worden ist, sehr kritisch. Man kann von einer Spaltung der EU im Bereich der Migrationspolitik sprechen.
Im Zentrum von Orbans Wahlkampf stand eine Angstkampagne gegen Flüchtlinge. Könnte das Signal nach aussen nun sein, dass sich das lohnt?
Es zeigt, dass dieses Thema emotionalisiert und gerade Menschen im ländlichen Raum anspricht. Das zeigen Studien in den USA oder auch in Ländern wie Österreich. Man sieht deutlich, dass dieses Problem – wie geht man im christlich-abendländischen Europa mit der islamischen Kultur um? – noch lange nicht gelöst ist. Und es zeigt sehr deutlich, dass die EU nach wie vor mit der populistischen Herausforderung zu kämpfen hat.
Was bedeutet es für Parteien wie die AfD oder den in Rassemblement umbenannten Front National, dass Orbans Fidesz-Partei punkten konnte?
Es bedeutet für sie, Hoffnung zu finden, nachdem Marine Le Pens Partei in Frankreich in der Krise war und auch die FPÖ in Österreich durch die Popularität des jungen, dynamischen Kanzlers Sebastian Kurz etwas verlor. Und es bedeutet auch, dass sie die EU und Deutschland im Bereich der Flüchtlingspolitik weiterhin attackieren und auf Restriktionen drängen werden.
Orban bemühte das Schlagwort der christlich-abendländischen Identität. Inwiefern stürzt das die Christdemokraten in Europa in ein Dilemma?
Die christdemokratische Parteienfamilie steckt in einer Identitätskrise. In Deutschland läuft gerade die Diskussion, ob der Islam zum Land gehört. In dem Punkt gibt es auch massive Differenzen zwischen den Schwesterparteien CSU und CDU. Andererseits steht Orban im diametralen Widerspruch zu christdemokratischen Werten.
Statt ‹America first› hiess es bei Orban ‹Ungarn zuerst›.
Nicht nur bei der Flüchtlingspolitik: Vor ein paar Jahren hat er auch die Todesstrafe gefordert. Deswegen wird es sehr schwer sein, Orban im Boot zu haben, und gleichzeitig für die EU als Wertegemeinschaft zu werben.
Kann man also sagen, in Europa geht nicht das Gespenst der Trumpetisierung, sondern vielmehr das der Orbanisierung um?
Beides bedingt einander, denn Orban war bereits während Donald Trumps Wahlkampf ein glühender Fan. Statt «America first» hiess es bei ihm «Ungarn zuerst». Das bedeutet zum Beispiel auch, gute Drähte nach Moskau zu haben. Die welt- und europapolitische Gemengelage scheint sich entscheidend verschoben zu haben.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.