Die neun Nordsee-Anrainerstaaten wollen den Ausbau von Windparks vor den Küsten gemeinsam vorantreiben. Die Windenergieleistung soll 2050 für 300 Millionen Haushalte ausreichen. Um das Alternativprojekt auch für Investoren sicher zu machen, dürfe es nicht zum Spielball russischer Gasentscheide werden, warnt der Ökonom Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel.
SRF News: Als wie bedeutend schätzen Sie dieses Projekt ein?
Georg Zachmann: Die Grösse dieses nordwesteuropäischen Windparks in der Nordsee ist gigantisch. 120-Gigawatt-Offshore-Windkapazität bis 2030 entspricht dem ungefähr Zehnfachen, was die EU heute vor Küsten vorweisen kann. Bis 2050 sollen es sogar 300 Gigawatt werden. Insgesamt besitzt die EU heute 200 Gigawatt installierte Kapazitäten. Allein in die Nordsee würden damit 50 Prozent mehr gepackt, als es gegenwärtig an Windkraftkapazität in Europa insgesamt gibt.
Neun Länder sind in das Riesenprojekt involviert. Wird es dereinst zustande kommen?
Es wird mit Sicherheit einen bedeutenden Windpark in der Nordsee geben. Wie gross er letztlich wird, ist abzuwarten. Bei Energietechnologien stellt sich immer die Frage, ob es im Vergleich zu Alternativen günstiger ist. Falls Offshore-Wind aufgrund irgendwelcher Schwierigkeiten deutlich teurer wird als Photovoltaik-Anlagen, Batterien oder importierter Wasserstoff, wird man nicht weiterbauen. Doch das ist heute noch nicht absehbar.
Das Nordsee-Projekt ist aber ein sehr wichtiger Meilenstein. Mit der Verknüpfung mehrerer Länder fallen allfällige Grenzstreitigkeiten weg. Zudem werden unterschiedliche Energiesysteme verknüpft, die sich ausbalancieren können. Das gibt dem auf erneuerbare Energien basierenden Verbundsystem die nötige Flexibilität. Wenn etwa der Wind in Schottland kräftig bläst und in Deutschland gerade nicht.
Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist auch ein Comeback der Kohle zu beobachten. Wie steht es um den Umbau der Energieversorgung in der EU?
Das Comeback der Kohle sollte nicht überinterpretiert werden. Es gingen auf einen Schlag fast 1500 Terawattstunden russisches Gas verloren. Das wurde kurzfristig zur Hälfte durch zusätzliche Gasimporte ersetzt, zur anderen Hälfte durch Einsparungen und den teilweisen Wechsel zur Kohle. Die Emissionen sind dabei 2022 in Europa nicht angestiegen. Die jetzigen Warnungen vor einem Wiedereinstieg in die Kohle sind nicht derart dramatisch zu nehmen.
Sind die grossen Ziele der EU realistisch, wenn über allem immer noch das billige russische Gas lockt, das vielleicht dereinst wieder bezogen werden kann?
Das ist ein Problem. Wenn heute in Energieeffizienz und Energieterminals investiert wird, will man wissen, wie es in 15 Jahren aussieht. Wenn man sich immer um sinkende Gaspreise sorgen muss, weil Russland wieder mehr Gas nach Europa liefert, ist das für Investoren ein hohes Risiko. Entsprechend braucht es nach meiner Einschätzung eine politische Steuerung der Gasimporte aus Russland.
Bisher gibt es keine Sanktionen gegen russisches Gas, die Gazprom Bank ist explizit ausgenommen. Es ist jetzt der Zeitpunkt, das europäisch zu regeln, um alternative Ambitionen nicht zu gefährden. Gleichzeitig sollte die Tür für einen späteren Gashandel offengelassen werden. Also keine vollen Sanktionen, aber auf gar keinen Fall ein Weiterlaufen wie bisher.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.