In weissen Stiefeln und mit Cowboyhut steht Moustapha Diatta am Strand. Hinter ihm die farbig bemalten traditionellen Boote, die sogenannten Pirogen, aufgereiht zu Hunderten. Diatta nickt. Klar, gleich hier vorne führen die Boote jeweils los, sagt der 44-jährige Fischer – meist in der Nacht, im Schutz der Dunkelheit.
Weiter draussen, ein paar Kilometer vor Mbour, warte schliesslich eine grössere Piroge. Zwischen 80 und 150 Menschen fänden darauf Platz. Und von da, sagt Diatta und zeigt gegen Norden, von da gehe es los. Etwa sieben Tage dauere die Fahrt. Dann sei man auf den Kanarischen Inseln – also in Europa und damit dort, wo viele hier hinwollen.
Viele Pirogen schaffen es nicht bis Spanien
Kaum eine andere Migrationsroute ist so gefährlich wie jene entlang der westafrikanischen Küste. Fast 1500 Kilometer beträgt die Distanz zu den spanischen Kanaren – und es gibt viele Pirogen, die es nicht bis dorthin schaffen.
Immer wieder treiben Boote ab oder kentern. Laut Schätzungen kommen dabei jeden Monat mehrere Hundert Menschen ums Leben. Die genaue Zahl der Opfer kennt indes niemand.
Das Risiko sei gross, sagt auch Diatta. Trotzdem wollen viele weg. Als Vorsteher der lokalen Fischer-Gewerkschaft hört er immer wieder von Mitgliedern, die gegangen sind. Das zeigen auch Statistiken: Demnach haben im laufenden Jahr deutlich mehr als doppelt so viele Menschen die Kanarischen Inseln erreicht als noch vor zwei Jahren.
In den engen, geschäftigen Gassen rund um den Fischerhafen von Mbour reden viele sehr offen über ihre Migrationsabsichten. Zwei davon sind die beiden jungen Männer, die unter einem Wellblechdach auf einer kleinen Holzbank sitzen. Der Boden ist sandig, nebenan blökt eine Ziege, im Hintergrund rauscht leise das Meer.
Sie seien arbeitslos – wie fast alle hier, sagen sie. Der Ältere fügt an, dass er trotz Uni-Abschluss seit Jahren keinen Job finde. «Es gibt nichts, was mich hier hält. Die meisten verlieren die Hoffnung.» Der Jüngere neben ihm nickt. Dann fügt er an, es gebe ein hier Sprichwort: «Wenn du nichts hast, bist du nichts.» Wer also etwas erreichen möchte, müsse weg. Und weg könne man eben meist nur auf einer Piroge. Er habe drei Visa-Anträge auf drei verschiedenen europäischen Botschaften gestellt – und drei Mal eine Ablehnung erhalten.
Du gibst das Maximum und erntest doch das Minimum.
Umgerechnet rund 700 Franken kostet momentan die Überfahrt auf die Kanaren, heisst es in Mbour einhellig. Die beiden Männer unter dem Wellblechdach haben dieses Geld nicht. Wenn er es hätte, sagt der Ältere – er würde gehen. «Du gibst das Maximum und erntest doch das Minimum», meint er. Die Zeit und Energie, die er in Ausbildung und Jobsuche gesteckt habe, führe zu nichts. Selbst für harte Arbeit werde man hier nicht belohnt.
Das Phänomen «Barça oder Tod»
Diese Frustration über die eigene Perspektivlosigkeit sei verbreitet unter den Jungen in Mbour, sagt Moustapha Fall. Er ist Vorsteher einer lokalen NGO, die unter anderem zurückgekehrte Migrantinnen und Migranten unterstützt.
Zu bleiben ist keine Option.
Fall spricht vom Phänomen «Barça oder Bassa» – Barcelona oder der Tod. «Ob sie ankommen oder nicht – für viele ist beides OK», sagt er, «denn zu bleiben ist keine Option.» Viele zögen es vor zu sterben als hier, unter den Augen ihrer Eltern, nichts zu tun. Auch die beiden jungen Männer unter dem Wellblechdach sehen das so. «Irgendwann siehst du die Risiken nicht mehr, irgendwann willst du nur noch weg aus Senegal», sagt der Ältere.
Ähnliches hört man oft in Mbour: dass die wirtschaftliche Misere einen irgendwann, wenn Not und Frustration Überhand gewinnen, vergessen lasse, dass man auf der Flucht sterben könnte. Und dann scheint selbst ein Leben in der Illegalität in Europa attraktiver als jenes hier, in den sandigen Gassen von Mbour.
Bei den Überlegungen der Abwanderungswilligen spielt auch eine Rolle, dass die Alternativroute durch die Sahara und schliesslich übers Mittelmeer länger dauert, teurer ist – und wohl mindestens so gefährlich. Auch können Senegalesinnen und Senegalesen aus Spanien aufgrund eines fehlenden Abkommens selbst dann nicht zurückgeschafft werden, wenn sie kein Asyl erhalten.
Der spürbare Wille, wegzugehen, kann sich freilich ändern – auch das sagen viele in der Küstenstadt. Und tatsächlich haben sich die trüben Perspektiven zuletzt etwas aufgehellt.
Es keimt Hoffnung
In Senegal ist seit diesem Sommer eine neue Regierung an der Macht. Die Hoffnungen sind gross, dass die Dinge nun besser werden.
Zudem begrüssen viele hier, dass Schiffe aus der EU seit kurzem nicht mehr vor Senegals Küste fischen dürfen. Ein entsprechendes Abkommen wurde nach Jahrzehnten nicht mehr verlängert. Das nährt hier die Hoffnung auf mehr Fische im Netz, auf ein besseres Einkommen, auf mehr Jobs.
Auch Moustapha Diatta, der Fischer mit dem Cowboyhut, gibt sich zuversichtlich. Er glaubt, dass die Dinge nun etwas besser werden. Und weg von hier, nein, das wolle er ohnehin nicht. Zwar seien einer seiner Söhne und sein Bruder in Spanien. Aber für ihn gelte: wenn Europa, dann höchstens mal für die Ferien.