Die sizilianische Staatsanwaltschaft hat gestern Abend angekündigt, dass das Rettungsschiff «Open Arms» beschlagnahmt werden soll und die gut 80 Migranten an Land dürfen. Damit endet eine knapp dreiwöchige Pattsituation, durch die das Schiff der spanischen Hilfsorganisation Proaktiva auf dem Meer blockiert war.
Jochen Oltmer forscht an der Universität Osnabrück zum Thema Migration. Er ist skeptisch, dass sich in Bezug auf die Migrationspolitik in der EU bald etwas ändert.
SRF News: Hat der Streit um die «Open Arms» die italienische Regierung zu Fall gebracht, oder ist das zu plakativ ausgedrückt?
Jochen Oltmer: Das ist zu plakativ. In der Regierungskoalition hat es diverse Auseinandersetzungen gegeben, unter anderem zum Thema Migration. Gleichzeitig hat dieses Thema in Italien und darüber hinaus eine grosse Bedeutung.
Es ist kein verlässlicher Verteilungsmodus in Sicht.
Im Juni legte die deutsche Kapitänin Carola Rakete mit einem Rettungsschiff ohne Erlaubnis von Innenminister Salvini auf Lampedusa an. Man könnte auf die Idee kommen, dass es nicht zufällig passiert. Was wollen die Rettungsorganisationen damit erreichen?
Ich würde in der Tat davon ausgehen, dass es nicht zufällig passiert. Wir sehen, dass Italien die Migrationspolitik zu einem zentralen Thema seiner Aussenpolitik und der EU-Politik gemacht hat. Sie hat auch eine hohe Bedeutung für die innenpolitische Debatte. Es gibt diesbezüglich ein erhebliches Mobilisierungpotenzial.
Die Migrationspolitik der EU weiss sich auf diese Verweigerungshaltung schlichtweg nicht einzustellen.
Die Rettungsorganisationen halten die italienische Blockadepolitik für ausgesprochen problematisch und für ganz wesentlich in Hinsicht auf die Einstellung von Aktivitäten im Mittelmeer selbst. Sie sehen Italien als Hauptgegner in dieser Auseinandersetzung.
Zahlreiche Länder wären bereit gewesen, Migranten der «Open Arms» aufzunehmen. Zuletzt wollte sie ein spanisches Kriegsschiff nach Mallorca holen, aber Italien blieb stur. Was sagt das über die europäische Migrationspolitik aus?
Das belegt, dass sie sich auf diese Verweigerungshaltung schlichtweg nicht einzustellen weiss. Nur eine ganz kleine Zahl von Staaten wird in die Koalition der Willigen eintreten. Es gibt immer noch keinen neuen Verteilungsmodus und keine Ansätze, die Dublin-Regelung neu zu verhandeln. Und man hat den Eindruck, dass viel, was in diesem Zusammenhang überlegt worden ist, schlichtweg nicht funktioniert. Die Perspektive einer Rettungsmission der EU selbst ist vollkommen versandet.
Was bräuchte es, damit sich die europäischen Länder auf ein Modell einigen könnten, wie die Migranten verteilt werden sollen?
Ich sehe im Moment keine Perspektive, zu einem Modus der Verteilung unter Beteiligung möglichst vieler EU-Staaten zu kommen. Jedes Mal, wenn ein Schiff vor Lampedusa oder wo auch immer aufläuft, muss wieder debattiert werden. Es ist kein verlässlicher Verteilungsmodus in Sicht.
Wenn die Zahlen von Migranten weiter sänken, könnte das dazu führen, dass Lösungen gefunden werden?
Man könnte es annehmen. Diese Konstellation gab es schon mal: Die letzten grossen Reformen bei Migrationsfragen fanden in der EU 2004/2005 statt. Das war eine Zeit, in der es wenig Fluchtbewegungen in Richtung Europa gegeben hat. Wenn man so will, bestand da eine Möglichkeit, zu gemeinsamen Aktivitäten zu kommen. Aber das ist im Moment nicht zu erwarten. Ein Rückgang der Anzahl der migrierenden Menschen könnte einen Beitrag dazu leisten. Es ist allerdings immer noch ein hochpolitisches Thema und es ist immer noch sehr stark populistisch aufgeladen.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.