Was ist passiert? Mitte Juni kenterte ein Fischkutter mit rund 700 Migrantinnen und Migranten aus Afrika an Bord im Mittelmeer vor Griechenland. Der Kutter war auf der Überfahrt von Libyen nach Italien. Man geht davon aus, dass 500 Menschen ertrunken sind. 104 Menschen überlebten, darunter sind gemäss Angaben von Nachrichtenagenturen neun ägyptische Schleuser. Der Unglücksort liegt über dem sogenannten Calypsotief, dem mit 5000 Metern tiefsten Punkt des Mittelmeers.
Was wird der griechischen Küstenwache vorgeworfen? Der Hauptvorwurf ist, dass sie sogenannte Pushbacks durchführe. Damit sind illegale Aktionen gemeint, mit denen Menschen hinter die EU-Aussengrenze zurückgedrängt werden. Auf hoher See bedeutet dies, dass sie Menschen in Zonen gedrängt haben soll, in denen Griechenland nicht für die Rettung verantwortlich ist.
Wer ist für das Unglück beim Calypsotief verantwortlich? «Sie haben unser Boot zum Sinken gebracht», sagten einige gerettete Migranten über die griechische Küstenwache. «Sie wollten unsere Hilfe nicht», rechtfertigt sich die griechische Küstenwache. Berichten zufolge habe ein Patrouillenboot das Boot an einem Seil abschleppen wollen, doch die Insassen hätten dies nicht gewollt.
Was sagt die griechische Regierung zum Vorwurf? «Dazu will die griechische Regierung nicht Stellung nehmen. Sie verweist auf die Untersuchungen, die am Laufen sind», sagt Rodothea Seralidou, freie Journalistin in Athen. Zum Zeitpunkt des Unglücks war eine Übergangsregierung an der Macht, nicht die konservative Regierung von Konstantinos Mitsotakis, «die sonst für die mutmasslichen Pushbacks in den letzten Jahren verantwortlich gemacht wird», so die Journalistin. Griechenland werde niemals zugeben, internationales Recht verletzt zu haben, indem es Menschen in Seenot willentlich nicht geholfen hat. Denn dies hätte gemäss der Journalistin auch strafrechtliche Konsequenzen.
Was sagt Frontex? Gemäss Medienberichten von letzter Woche erwägt die Frontex, ihre Beamten aus Griechenland abzuziehen. Die Frontex ist die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache.
Wieso ermittelt nun Europol? Die griechischen Behörden baten am Wochenende die europäische Polizeibehörde Europol um Hilfe bei den Ermittlungen. Die neun mutmasslichen Schleuser, die festgenommen worden waren, sollen einer grösseren Bande angehören. Die Fahnder wollen jetzt die Hintermänner ermitteln.
Was wären die Folgen, wenn die Frontex sich zurückziehen würde? Seralidou sieht zwei mögliche Konsequenzen: Erstens bekäme Griechenland keine finanzielle Unterstützung mehr beim Grenzschutz. Das würde bedeuten, dass wieder mehr Migrantinnen und Migranten nach Europa gelangen würden. Das wäre nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa ein Problem. Zweitens könnte Griechenland noch härter gegen die Menschen in den Flüchtlingsbooten vorgehen, und es gäbe keine europäische Instanz mehr, die das dokumentieren könnte.
Was möchte die EU? «Die EU hat grosses Interesse daran, Griechenland beim Grenzschutz weiter zu unterstützen», sagt die griechische Journalistin. «Auch die anderen EU-Länder wollen nicht, dass die Zahlen der ankommenden Menschen steigen.» Genau deshalb sei die Frontex noch in Griechenland und deshalb sei die EU nicht strenger mit dem Land umgegangen.