Nachdem anfangs Februar das Militär die zehnjährige Phase der Demokratie in Burma (auch Myanmar genannt) jäh beendet hat, reissen die Proteste im Land nicht ab. Das Militär ist inzwischen dazu übergegangen, Protestierende gezielt durch Kopfschüsse zu töten. Der Schweizer Arzt Philippe Schucht sieht seine langjährige Arbeit im Land bedroht.
SRF: Philippe Schucht, Sie kennen Burma sehr gut, sind seit zehn Jahren regelmässig vor Ort zum Operieren und Ausbilden. Was hören Sie von Ihren Kolleginnen und Kollegen?
Philippe Schucht: Es ist eine Tragödie. Das ist ein Land, das bis vor zehn Jahren eine Militärdiktatur war, dann kamen zehn Jahre wirtschaftlicher Aufschwung, ein Demokratisierungsprozess. Wir haben grosse Fortschritte gesehen, auch in der Medizin. All das wird jetzt zunichte gemacht. Die Ärzte, das Gesundheitspersonal streiken, sie protestieren gegen diese Rückkehr in die Militärdiktatur.
Mittlerweile konstatieren wir hunderte von Kopfschüssen.
Es kursieren Berichte, wonach Menschen auf offener Strasse von Armeeangehörigen gezielt erschossen werden. Können Ihre Bekannten das bestätigen?
Das hören wir leider mittlerweile täglich, ja. Von den Ärzten, die wir mitausgebildet haben, die sich vor Ort um Patienten kümmern bekommen wir jeden Tag Fotos von solchen Kopfverletzungen. Am Anfang dachten wir, das sind vielleicht Einzelfälle, eine Kugel, die sich verirrt hat. Aber mittlerweile konstatieren wir hunderte von Kopfschüssen. Ganz gezielt wird auch Menschen, die weglaufen, in den Rücken geschossen.
Wenn die Ärzte streiken, wie werden denn die verletzten Menschen versorgt?
Es ist eine Katastrophe. Die Ärzte haben die Krankenhäuser verlassen und behandeln die Verletzten dieser Revolte in provisorischen Krankenhäusern. Sie streiken, weil sie wissen, wenn sie das jetzt nicht hinbekommen, dann ist es eine Tragödie für das ganze Land.
Sind den Ärztinnen und Ärzte auch im Fokus der Armee?
Ja, wir haben Ärzte verloren, die auf dem Weg zur Arbeit aus der Distanz getötet worden sind. Viele Kollegen von den Universitäten sind auf der Flucht, einige von ihnen wurden mitten in der Nacht von der Armee abgeholt, verhört und gefoltert. Dieser Putsch hat einen gravierenden Einfluss auf das gesamte Leben in diesem Land.
Welchen Einfluss hat die aktuelle Situation in Burma auf das Gesundheitssystem?
Die Armee hatte das Gesundheitssystem völlig vernachlässigt. Als wir vor zehn Jahren nach Myanmar gekommen sind, gab es nichts. Wir haben Spitäler gesehen, die sahen aus wie zu Kolonialzeiten; ohne Instrumente. Über zehn Jahre wurde viel aufgebaut, auch mit internationaler Unterstützung, aber das alles ist jetzt wieder infrage gestellt.
Befürchten Sie, dass alles, was Sie aufgebaut haben, jetzt wieder zerstört wird?
Das befürchten wir, ja. Die Schweiz war sehr aktiv in Myanmar, wie auch viele andere Staaten. Alle haben geholfen, aufzubauen, was die Armee über 50 Jahre lang nicht gemacht hat.
Sie haben enge Kontakte zu Burma. Wie geht es Ihnen, wenn Sie die Bilder der Proteste und der Verletzten sehen?
Ich spüre eine enorme Trauer und eine Wut über das, was sich die Armee dort erlaubt. Die Burmesen sind vorwiegend Buddhisten, sie haben die Militärdiktatur im letzten Jahrhundert mit stoischer Ruhe ertragen. Dann hatten sie sich gefreut, dass sie nach der Diktatur plötzlich Kontakt mit der Welt hatten.
Nach dem Putsch sind alle auf die Strasse. Sie sind immer noch stoisch, gehen jeden Tag auf die Strasse und müssen miterleben, wie ihre Kollegen hinterrücks erschossen werden, auch Ärzte. Momentan akzeptieren sie das noch, machen weiter mit dem friedlichen Protest. Aber wir machen uns Sorgen, wie lange das noch so geht.